Als der kleine, schwerhörige Schüler Victor aus der Schule verschwindet und kurz danach verstört und verdreckt aufgefunden wird, berichtet er, dass er von einem Mann entführt wurde und entkommen konnte. Schnell wird ein Verdächtiger verhaftet, doch als sich herausstellt, dass er nicht der Täter sein kann und die Geschichte des Jungen sich plötzlich ganz anders darstellt, als zunächst angenommen, hat Victors Mutter Patricia, eine erfolgreiche Anwältin, schon Maßnahmen gegen den zunächst Verdächtigen eingeleitet, die dann außer Kontrolle geraten. Schließlich verschwindet Victor erneut und ein Katz- und Maus-Spiel beginnt...
Aus Spanien kommen schon seit vielen Jahren interessante Filme in verschiedenen Genres, die oft eine ganz eigene Atmosphäre haben, die weit weg vom Hollywood-Mainstream ist, aber auch nicht so verspielt rüberkommt, wie beispielsweise oft beim französischen Film.
Mit „Boy Missing“ von 2016 erscheint nun ein Thriller-Drama, das innerhalb der Geschichte eine interessante Entwicklung durchmacht. Lässt das Covermotiv noch an einen Gruselfilm denken, so steht darunter etwas von „Psychothriller“. Beides trifft es aber nicht. Vielmehr fängt der Film eher gemächlich an und kommt einem fast wie das typische „TV-Drama der Woche“ vor, bevor es dann zu einer Art „Tatort“-Variante wird und zum Ende hin ein paar Tarantino-Momente enthält und sogar ein bisschen an den meisterhaften „Die Üblichen Verdächtigen“ erinnert. Die Spannung schleicht sich nach dem dramatischen Beginn erst langsam in die Geschichte ein, während die angenehm realistisch gezeigten Ermittlungen der Polizei nach und nach Licht ins Dunkel bringen. Statt Action mit Explosionen und Verfolgungsjagden wird die Story glaubhaft erzählt, was vor allem an den durchgängig guten Schauspielern liegt.
Alle Darsteller geben eine gute Vorstellung, doch herausstechen tut auf jeden Fall der Newcomer Marc Domènech als der kleine Victor. Er ist tatsächlich hörbehindert, was seine Gespräche, teilweise in Gebärdensprache mit seiner Film-Mutter, sehr natürlich wirken lässt. Er liefert eine beeindruckende und überzeugende Leistung ab. Und dann sind da noch die kleinen weiblichen Nebenrollen, die in Erinnerung bleiben. so Nausicaa Bonnin als Polizistin, die mit kleinen Szenen eine Menge Natürlichkeit und Glaubwürdigkeit in die Geschichte bringt. Außerdem Macarena Gómez als schwangere Frau des Verdächtigen, für die durch die Ereignisse ihre kleine, einigermaßen geregelte Welt zusammenbricht.
Am Rande werden auch noch Themen wie illegale Hundekämpfe und Mobbing unter Jugendlichen angeschnitten, außerdem Erpressung, Korruption, Selbstjustiz und Familienprobleme und es gibt einige wenige blutige Szenen, die aber nicht ausgewalzt werden. Natürlich sind die Überraschungen beim mehrfachen Ansehen nicht mehr so groß, so dass dann vielleicht ein Bisschen verloren geht. Aber ähnlich angelegte Filme wie „Die Üblichen Verdächtigen“ oder „Wild Things“ haben ja auch nichts von ihrer Faszination verloren und so ist „Boy Missing“ also ein recht vielseitiger, geschickt aufgebauter Film, der vielleicht einen Tick zu lang geworden ist, aber ansonsten durchgehend spannende, sich steigernde Unterhaltung bietet.
Die deutsche Blu ray erscheint bei OFDb Filmworks als Unterlizenz von Koch Media. Das Label der bekannten Online Film Datenbank hat sich in der näheren Vergangenheit schon mit einigen interessanten und stets qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen aus verschiedenen Genres einen guten Namen gemacht. Auch bei „Boy Missing“ - der natürlich auch als DVD erscheint - gibt es diesbezüglich nichts zu bemängeln. Passend zum Film, der nicht auf Krawall und Action setzt, ist die Optik natürlich zurückhaltend. Die Schärfe ist gut und es kommt insgesamt ein angenehmer Filmlook auf statt wie bei neueren „kleinen“ Filmen viel zu glatte Digitaloptik. Am deutschen und spanischen Ton gibt es ebenfalls nichts auszusetzen, deutschsprachige Untertitel sind natürlich auch vorhanden. Die deutsche Synchronisation ist recht überzeugend geworden, was bei solchen kleineren Filmen bei weitem nicht immer der Fall ist. Hier hört man, dass es sich lohnt, gerade an der Stelle nicht übertrieben zu sparen.
Dass Bonusmaterial besteht aus einem typischen (Promo-) Making Of, einigen kurzen Interviews und dem Trailer auf Deutsch und Spanisch. Schade, ein Audiokommentar wäre hier sicher besonders interessant gewesen, liegt aber leider nicht vor. Vielleicht habe ich es übersehen, aber die auf dem Cover vermerkte Bildergalerie konnte ich nicht entdecken. Dennoch eine gelungene Veröffentlichung eines zwar eher ruhigen, aber dafür umso spannenderen Filmes mit einigen überraschenden Wendungen. (A.P.)
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