Es gibt immer wieder Filme die sich erfreulicherweise Genrekonventionen widersetzen, oder diese teilweise sogar völlig missachten. Nun hat der Italowestern an sich das eigentlich uramerikanischste aller Filmgenres lediglich missbraucht um seine eigenen zumeist höchst nihilistischen Philosophien, irgendwo zwischen Friedrich Nietzsche, Jack London und Charles Darwin, zu verbreiten. Die Geschichten erzählten zumeist von der Jagd nach materiellen Wünschen und dem absoluten Willen alles Unabdingbare dafür zu tun. Dem Tod, auch dem Eigenen, wurde keine Bedeutung mehr beigemessen. Die Protagonisten die in diesen Filmen auftraten, wirkten zumeist völlig entseelt und den sinnentleerten Gesetzen ihrer Umgebung ausgeliefert. Wirkliche Helden gab es nicht und wenn doch, wurden sie uns als wortkarge Mörder vorgestellt die ihre moralischen Werte verloren hatten. Sowieso erschien Moral als etwas das Bestandteil einer zerstörten oder weit entfernten Welt war.
Zwei Werke ragen aufgrund ihrer Ungewöhnlichkeit und ihrer vollkommen der Realität enthobenen Bildersprache heraus. Der eine ist Alejandro Jodorowsky's rituelles Kultepos "EL TOPO";, der andere ist Canevari's psychedelischer "MATALO".
Der Anfang bereitet den Zuschauer passend auf das kommende Delirium vor, das ihn im weiteren Verlauf erwarten wird. Der Ganove Burt soll gehängt werden. In einer wilden Schießerei die mit deftigem Progressivrock unterlegt ist, wird der Mann befreit. Die in schwarz gekleidete Witwe, deren Gatte von dem soeben Befreiten ermordet worden ist, wartet mit einer Pistole auf ihn im Sheriff's Office. Sie umkreißt ihn mit der Waffe während die Musik immer intensiver werdend anschwillt. Er nimmt sie in die Arme, küsst sie und greift dabei gleichzeitig nach dem Geldbeutel der neben ihr liegt. Als er durch die Tür nach draußen geht und sich auf sein Pferd schwingt, erschießt sich die Frau mit ihrer Pistole und stürzt hinter dem grinsenden Burt zusammen. Eine ziemlich heftige und zynische Darstellung von der Macht des Stärkeren. Dieser Auftakt ist der Anfang eines Filmes, der ein ganzes Genre zu krönen scheint und der doch trotzdem so sehr seinen Regeln widerspricht. Dabei erzählt uns die Geschichte eigentlich das alte Lied: von der Gier nach Geld, den einsamen in sich gefangenen Antihelden und dem Tod als ewigen teilnahmslosen Begleiter. Was "Matalo" so einzigartig erscheinen lässt, gegenüber all den Leone's und Corbucci's seiner Zeit, ist, das er den Geist der Europäischen Gotik so gnadenlos durch den Präriewind jagt, das die gesamte Atmosphäre des Films spätestens nach den ersten zwanzig Minuten gänzlich in Richtung Horrorfilm kippt. Natürlich hat der Italowestern mit all seinen Friedhöfen und Leichen von Grunde auf schon eine deutliche Affinität zum Horrorgenre. Dennoch überrascht "Matalo" mit all seinen Spinnweben, den ächzenden Türen und der kreischenden Musik die durch das nächtliche Treiben dringt. Genauer genommen dreht Canevari lediglich die Regeln um, indem er die Handlung in den Hintergrund stellt und den unheilsschwangeren Bildern den Vorrang lässt.
Durch den geschickten Umgang mit den Stilistiken des Horrorfilms wird den Personen eine größere Tiefe zugesprochen, die man so nicht in ihren Charakteren vermuten würde. Als der Fremde, gespielt von dem großartigen Schauspieler Lou Castel, in der Geisterstadt Benson City einreitet, umgibt ihn etwas Überirdisches. Die Wirkung ist so stark das man seine anfängliche Schwäche und Verwundbarkeit gar nicht akzeptieren will und vollkommen verwundert auf seinen Sturz vom Pferd reagiert. Später im Film wird er nur durch wenige Bildeinstellungen diese Wirkung zurück erlangen. Die sparsamen Dialoge scheinen wie Fremdkörper, zu sehr sind sie Bestandteil einer Wirklichkeit die dieser Film nicht bietet. Wie bei Antonioni, Argento und auch in einigen Werken Franju's wird hier keine Handlung vorangetrieben, sondern eine Atmosphäre kreiert die viel mehr erzählt als es jede Geschichte könnte. Ein Juwel von einem Film, trotz oder gerade wegen seiner ungewöhnlichen Gewandung! (Haiko Herden)
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