Die Zwillingsschwestern, eine blond, eine brünett, Eva und Sue kommen zum Arbeiten in die „große Stadt“. Sie wohnen im Apartment einer Tante, die gerade auf einer längeren Europareise ist. In der Firma verguckt sich Sue in ihren Chef Mr. Prince, der sie aber nicht weiter beachtet. Als Eva am Wochenende alleine in ein Nudistencamp fährt, trifft sie dort ausgerechnet Mr. Prince. Die beiden freunden sich an, was Sue in tiefe Verzweiflung stürzt. Sie fasst einen riskanten Plan und besorgt sich eine blonde Perücke, um ihrer Zwillingsschwester täuschend ähnlich zu sehen, doch im Nudistencamp entwickeln sich die Dinge anders, als erwartet...
Wenn ein Label seinen Namen wirklich mehr als verdient hat, dann ist es fraglos FORGOTTEN FILM ENTERTAINMENT. Mit unfassbarer Liebe zum Medium Film werden hier tatsächlich seit Jahrzehnten vergessene oder gar verloren geglaubte Filme wieder entdeckt und in aufwendigen und qualitativ hochwertigen Editionen veröffentlicht. Nach einem Mexploitation-Film, dem Crowdfunding-Project „Der Perser und die Schwedin“ und dem fast schon surrealistischen „Escalation“ aus Italien liegt nun in der Unterreihe „Sleaze Selection“ der zweite Eintrag vor. Es handelt sich um den Doris Wishman-Film „Nackt Im Sommerwind“ von 1965.
Wishman hatte bis Mitte der 60er Jahre schon einige so genannte Nudisten-Filme gedreht, damals die einzige Möglichkeit, Nacktheit im Kino zu zeigen. Heute sind die Aufnahmen natürlich sehr brav, in jedem Sonntagabend-“Tatort“ sieht man explizierteres Material, damals waren die nackten Hintern und Brüste (mehr gibt es nie zu sehen) jedoch sicher höchst anstößig. Nach „Nackt Im Sommerwind“ begann sie kleine, schmuddelige Filme zu drehen, von denen vermutlich „Teuflische Brüste“ der bekannteste ist. Filmtitel wie „Zauberstab Zur Selbstmassage“ oder „Dildo Heaven“ versprechen jedoch weitaus mehr, als sie tatsächlich bieten.
Die oben stehende Inhaltsangabe zu „Nackt Im Sommerwind“ gibt mehr her, als der Film halten kann, die Handlung ist mehr als rudimentär, ein bisschen angelehnt an typische Märchen-Geschichten (der Name „Prince“ ist sicher nicht zufällig gewählt und auch „Eva“ ist in einem Film, in dem es um nackte Menschen in einer „paradiesischen“ Umgebung geht, wohl bedacht). Letztendlich geht es nur darum, die Zeit zwischen den Nacktszenen irgendwie zu füllen. Der Film wurde hauptsächlich aus nicht verwendetem Restmaterial früherer Filme erstellt, das mit den neu gedrehten Handlungsszenen zusammengeschnitten wurde. Trotzdem erreicht der Film nur eine Länge von knapp 60 Minuten, die zu einem nicht unbeträchtlichem Teil aus langen Einstellungen von Blumen, wiederholten Takes eines Flugzeugs am Himmel, Möbeln, Gardinen und ähnlichem besteht. Eigentlich harmlos aber heutzutage so wohl in einem komerziellen Film kaum noch möglich, sind einige Szenen mit einem nackten Kind. Diese sind aber nicht voyeuristisch, wie auch sonst die gesamte Nacktheit im Film sehr unschuldig und natürlich rüberkommt. Optisch die schönste Szene ist wahrscheinlich die einer Schwimmerin, die unter Wasser „tanzt“.
Einen hochanspruchsvollen, spannenden Film darf man also nicht erwarten und auch der Romantik-Faktor ist eher gering. Stattdessen gibt es aber viele natürliche nackte Frauen und Männer bei unterschiedlichen Freizeitbeschäftigungen zu sehen und das alles in locker-unterhaltsamer Weise - ein Gute-Laune-Film für Zwischendurch, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Am besten sollte man den Film mit einer größeren Gruppe von Leuten gucken, damit es richtig Spaß macht.
Am Ende geht es auch gar nicht so sehr darum, ob der Film gut oder schlecht, erregend oder langweilig ist, sondern darum, ob man diese Art von Filmen mag oder gar ein Doris-Wishman-Fan ist. Viel Spannender ist, dass dieser Film weltweit bisher nicht erhältlich war und die amerikanische Originalfassung als verloren gilt. Forgotten Film Entertainment hat hier mit dem „Geheimnisvollen Film Club Buio Omega“, der eine Freundschaft mit Doris Wishman in ihren letzten Lebensjahren pflegte, die Fassung, so weit es möglich war, zu rekonstruieren. Inhaltlich sicher eher unbedeutend, filmhistorisch jedoch für „durchgeknallte“ Filmfans eine Offenbarung.
Die Veröffentlichung von „Nackt Im Sommerwind“ von Forgotten Film Entertainment ist wieder einmal mehr als vorbildlich - ich schreibe es vermutlich in jeder Rezension zu den Veröffentlichungen dieses Labels. Mehr kann man auf Blu Ray aus diesem Film vermutlich nicht mehr rausholen, sowohl, was die Qualität angeht, als auch, was die Ausstattung betrifft.
Die Blu Ray erscheint in einer DVD-Hülle, die wieder in einem sehr hochwertigen Pappschuber steckt. Die Coverrückseite zeigt ein alternatives Filmplakat als Miniposter. Dazu gibt es ein hochwertiges 32seitiges Booklet mit Texten verschiedener Autoren zum Film und zu Doris Wishman. Teils sachlich, teils sehr persönlich, was ein echter Mehrwert ist.
Die Bildqualität des Films ist wirklich gut geworden, Die 2K-Abtastung wurde liebevoll restauriert und sieht wirklich großartig aus für einen so alten und vor allem billig produzierten Film. Der deutsche und englische Mono-Ton ist ebenfalls überzeugend. Modernen Surround-Sound erwartet hier wohl auch niemand. Zudem kann man den Film alleine mit der Musikspur genießen, wenn man möchte. Deutschsprachige Untertitel sind selbstverständlich auch auswählbar.
All das hätte man in Form einer billigen 10-Euro-Veröffentlichung rausbringen können. Was die Blu Ray von „Nackt Im Sommerwind“ aber so wertvoll macht und auch den höheren Preis absolut rechtfertig, ist die Ausstattung. Dass das haptische hochwertig ist, wurde bereits erwähnt. Hinzu kommt aber die Tatsache, dass hier eine Menge an WIRKLICH INTERESSANTEM Bonusmaterial zusammengetragen wurde, wie man es wohl nur selten bei derartig kleinen Filmen erlebt. Hier ist der Einsatz des „Geheimnisvollen Film Club Buio Omega“ nicht hoch genug zu bewerten, der sein Archiv geöffnet und wundervolles Hintergrundmaterial zur Verfügung gestellt hat. Neben einem kurzen Intro und der obligatorischen Bildergalerie wurde extra ein sehr interessanter Audiokommentar aufgenommen, der sich allerdings weniger mit dem Film selbst als mit Doris Wishman im allgemeinen beschäftigt. Dazu gibt es eine fast 100minütige Dokumentation über die Dreharbeiten zu Wishmans letztem Film im Jahr 2007. Da es sich um privates Videomaterial handelt, kann man die Abstriche bei der Film- und Tonqualität leicht verschmerzen, ist dies doch einmaliges, so noch nicht gezeigtes Material. Dazu gibt es gut 20 Minuten bewegte Bilder von Wishmans Besuch beim Filmclub in Gelsenkirchen im Jahr 2001, was sehr unterhaltsam ist. Die Frau, so klein und unscheinbar sie war, hatte großes Charisma. Dann gibt es noch fast 20 Minuten Aufnahmen von einem Besuch bei der Regisseurin in Miami. Schließlich weitere Featurettes/Kurzfilme und einen BD-Rom-Part.
Sensationell ist aber, dass man auch gleich noch den originalen Vorfilm „Mädchen In Der Sauna“ der deutschen Kino-Auswertung (da der Hauptfilm mit einer Stunde Laufzeit natürlich zu kurz war) aufgetrieben und hier verfügbar gemacht hat. Was nach einem billigen Schmuddelfilmchen klingt, ist eigentlich genau das. Genauer gesagt, eine halbstündige Pseudo-Dokumentation, in der eine deutsche Journalistin in Finnland über die dortige Sauna-Kultur recherchiert. Das ist pseudoseriös gemacht und dient natürlich auch nur dazu, ein paar nackte Tatsachen, inklusive der Journalistin selbst, zu präsentieren. Das ist so offensichtlich und absurd, dass es durchaus unterhaltsam rüberkommt.
Mehr dürfte kaum möglich sein und so wird die Blu Ray von „Nackt Im Sommerwind“ zu einem mehr als würdigem Denkmal für den Film und für Doris Wishman. Wieder einmal ein Grund, die wundervolle Arbeit von Forgotten Film Entertainment und den Kooperationspartnern bedingungslos zu unterstützen, selbst wenn es mal nicht der neue Lieblingsfilm sein sollte. (A.P.)
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