Die Welt ist offenbar im Eimer – jedenfalls für eine Mutter, die mit ihren beiden Söhnen Nolan und Samuel in einer einsamen Hütte haust. Nicht aus romantischen Gründen, sondern weil draußen irgendetwas Böses lauert. Was genau das ist? Weiß niemand so recht. Das bleibt diffus – so wie die endlos langen Seile, mit denen sich die Familie permanent mit dem Haus verbindet, sobald sie selbiges verlassen, um Frösche oder Maden für den Abendbrottisch zu sammeln. Das Leben folgt einem strengen Regelkatalog. Keiner darf raus, niemand darf die Leine kappen, und Fragen sind eher unerwünscht. Als einer der Jungs beginnt, das ganze Konstrukt zu hinterfragen, kommt Bewegung in die klaustrophobische Truppe...
Was Regisseur Alexandre Aja hier abliefert, ist weniger ein klassischer Horrorfilm als ein paranoides Familienkammerspiel mit latentem Endzeitgeschmack. Wer von Aja ("HIGH TENSION", "THE HILLS HAVE EYES", "CRAWL") nur Blutfontänen und Monster erwartet, dürfte sich hier wundern – der Mann kann auch subtil, atmosphärisch und ziemlich unangenehm leise. Klar, ein bisschen Genre-Kram gibt es trotzdem. Aber "NEVER LET GO" ist vor allem ein psychologischer Thriller, der sich viel Zeit für seine Figuren nimmt. Besonders Halle Berry – sonst eher in Actionrollen unterwegs – zeigt hier, dass sie eine erstaunliche Bandbreite draufhat. Ihre Figur pendelt permanent zwischen mütterlicher Wärme, fiebriger Angst und fast religiösem Wahn. Und das macht sie recht überzeugend. Man kann den Film mit "A QUIET PLACE" oder "BIRD BOX" vergleichen – unsichtbare Gefahr, klaustrophobisches Setting, Überleben durch Regeln. Aber Aja ist weniger daran interessiert, die Bedrohung draußen zu zeigen, sondern eher daran, was solche Bedrohungen mit Menschen drinnen machen. Es ist diese Ungewissheit, die den Film ausmacht. Man weiß bis zum Ende nicht, ob die Mutter übertreibt oder völlig recht hat – und gerade das macht es spannend. Ein paar Kritikpunkte gibt es natürlich auch. Das Drehbuch lässt ein paar Fragen offen, vor allem zum Ende hin. Wer gerne alles erklärt bekommt, wird sich wundern. Und ja, der Film meint es sehr ernst mit seiner Metapher vom "Loslassen". Wirklich subtil ist das nicht – aber immerhin konsequent durchgezogen. Visuell ist das Ganze reduziert, aber effektiv. Dunkle Wälder, graues Licht, leergeräumte Räume – die Welt hier draußen ist nicht mehr zum Wohlfühlen da. Der Score hält sich angenehm zurück, was die Nervosität nur verstärkt. Es ist nicht spektakulär, aber es wirkt. Wer wissen will, wie man mit wenigen Mitteln eine intensive Atmosphäre aufbaut, sollte diesem Film eine Chance geben.
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