BERLIN SUPER 80 (DVD+CD+Buch-Box)
(Monitorpop/Crippled Dick Hot Wax www.monitorpop.de )
Als ich das erste Mal eine Ankündigung für diese Box gelesen habe, kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Das Package aus DVD mit Super 8-Filmen aus dem Berliner Underground der 80er Jahre, einer CD mit Musik aus der Zeit und einem 100-Seiten Buch mit Essays, Fotos und sonstigem, klang mehr als spannend.
Sofort habe ich mir ein Vorabpackage angefordert und bin schlichtweg begeistert. Seit dem kultigen „So War Das SO36“-Video gab es keine so interessante Veröffentlichung über das Thema mehr, wobei dort natürlich die Musik im Vordergrund stand, während bei „Berlin Super 80“ vor allem die DVD mit dem Filmmaterial den Kern bildet.
Die DVD:
Enthalten tut die DVD 17 Filme, die zwischen 1978 und 1984 von verschiedenen Filmemachern auf Super 8 gedreht wurden. Das meiste Material ist experimentell und Musik spielt häufig eine wichtige Rolle in den knapp eineinhalb bis fünfzehnminütigen Werken. Die Bildqualität ist, bedingt durch das Ausgangsmaterial, wechselhaft und durchwachsen, die Macher von „Berlin Super 80“ haben aber dennoch einiges herausgeholt. Die Filme im Einzelnen:
„E Dopo?“ (1981) von Brand und Maschmann
Zur Musik von LA LOORA werden ein nackter Männer- und ein nackter Frauenkörper abgefilmt, alles in kalten Blautönen gehalten und mit vielen Licht/Schatten-Effekten, ohne, dass man die Gesichter der Darsteller sieht, zudem werden im Rhythmus der Musik extrem viele, extrem schnelle Schnitte gemacht, so dass man kaum bis keine Details sieht, woraus der Film seine Erotik zieht, weil viel der Fantasie des Zuschauers überlassen bleibt. Eher ein frühes Musikvideo, als ein richtiger Film, aber gut gemacht. Nach zwei Minuten ist alles vorbei.
„3302“ (1979) von Christoph Döring
Eine Taxifahrt durchs nächtliche Berlin mit immer neuen Fahrgästen. Döring hat später fürs ZDF und Arte gearbeitet und war Anfang der 80er Jahre mit seiner Performance Gruppe NOTORISCHE REFLEXE unterwegs. In „3302“ gibt es Musik von MDK, FLUCHT NACH VORN und DIE UNBEKANNTEN zu hören. Irgendwie eine Art Roadmovie ohne Handlung, dafür aber mit einigen guten Ideen.
„Hüpfen 82“ (1982) von Wolkenstein und Markgraf
Zwei junge Männer hüpfen zu hochgepitchten Volksmusikklängen durch einen Raum und machen dabei alltägliche Sachen. Fast schon surrealistisch. Dass die Macher Spaß dabei hatten, sieht man ihnen deutlich an.
„Sax“ (1981) von Yana Yo
Drei Menschen in dunklen Ledermänteln gehen Saxophon spielend durch ein düsteres Haus. Keine Handlung aber wahnsinnig viel Atmosphäre, die zusammen mit den finsteren Klängen sehr gut Spannung erzeugt. Irgendwie erinnert mich das an das später entstandene „Terminus“-Video von Psychic TV.
„Ohne Liebe Gibt Es Keinen Tod“ (1980) von Maye und Rendschmidt
Ebenfalls eher auf Atmosphäre denn auf Inhalt setzt dieser Film, der seine Stärke aus fast schon psychedelischer Farb- und Schattengebung zieht. Dazu gibt es minimale, fast schon atonale Klänge.
„Formel Super VIII“ (1980) von Stiletto
Ein Fahrrad- und Motorradrennen quer durch ein Haus mit professionellem Kommentar. Nette Idee, aber bildtechnisch und –qualitativ leider nicht besonders interessant umgesetzt. Dafür aber leichter und humorvoller als die vorhergehenden Beiträge und glücklicherweise kurz gehalten.
„Hammer Und Sichel“ (1978) von Walter Gramming
Sehr experimentell und unzusammenhängend. Mir wird die Aussage, wenn es denn eine geben sollte, bei dem Spiel mit dem Symbol der damals noch existenten Sowjetunion nicht klar.
„Morgengesänge“ (1984) von Georg Marioth
Der erste Film mit einem Ansatz von Handlung. Wir beobachten einen jungen Mann an einem normalen Morgen vom Aufstehen übers Frühstück bis hin zum Verlassen der Wohnung. Statische Kamera, simpelste Einstellungen.
„Malaria – Money“ (1983) von Hormel und Bühler
Ziemlich gelungener Videoclip zu einer der damals wichtigsten deutschen New Wave-Bands. Sehr professionell und einfallsreich nimmt dieser Clip vieles vorweg, was in späteren Jahren Videoclip-Standard werden wollte.
„Fragment“ (1983) von Notorische Reflexe
Eine abgefilmte und bearbeitete Performance der bekannten Berliner Gruppe NOTORISCHE REFLEXE.
„Mein Papi“ (1983) von Jörg Buttgereit
Der wohl bekannteste Filmemacher auf dieser Zusammenstellung präsentiert uns ein frühes Werk über seinen Vater. Sehr strange, Momentaufnahmen aus dem Familienleben fremder Leute zu erleben. Buttgereits Vater scheint übrigens auf dem Cover der „Fleisch“ EP von Soilent Grün (Pre-Ärzte) zu sein. So erfährt man immer mal was Neues. Was er dazu wohl damals gesagt hat..?
„Berliner Küchenmusik“ (1982) von Die Tödliche Doris
Zum Stück „Die Schuldstruktur“ von DIE TÖDLICHE DORIS beobachten wir eine ziemlich absurde Party in einer mit dunklem Holz eingerichteten Küche. Ziemlich surreal und irgendwie könnte das Video auch von Der Plan sein.
„So War Das SO36“ (1982) von Manfred Jelinski
Die zwölfminütige Urfassung der später auf Video erschienenen Dokumentation über den legendären Berliner Club SO36. Mit Aufnahmen von Bands wie DIE GELBS, LORENZ LORENZ, MALARIA, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN und anderen.
„Spanish Fly“ (19879) von Butzmann und Kiesel
Experimental-Kurzfilm mit Gudrun Gut zu einem Stück von Frieder Butzmann. Sehr atmosphärisch, sehr düster.
„Die Glatze“ (1982) von Klaus Beyer
Eine Ode an die männliche Glatze. Witziger Trash
„Craex Apart“ (1983) von Markgraf und Wolkenstein
Gut gefilmte, düstere Baustellenperformance, die optisch hier und da ein wenig an expressionistische deutsche Filmklassiker aus den 20er Jahren erinnert. Sehr schön.
„Gelbfieber“ (1981) von Andrea Hillen
Noch einmal Spielerein mit Licht und Schatten zu Muzak. Leider wenig aufregend und der schwächste Beitrag auf der DVD, allerdings auch der Letzte, zumindest fast.
Als Bonus (warum auch immer das so genannt wird) gibt es noch den Film
„Wedding Night“ (1981) von Ika Schier
Ähnlich wie „E Dopo?“ wird es hier ein wenig erotisch, wobei das Ganze wohl als eine Art Satire auf Fetish- und S/M-Videos gemeint ist. Gut gelungen.
Das weitere Bonusmaterial besteht aus einem kurzen „Making Of“, das allerdings unkommentiert von den Machern ist und deshalb wenig Aussagekraft hat. Dafür gibt es aber jede Menge Bildergalerien von Bands, Veranstaltungen, Aktionen und Personen der damaligen Zeit mit unzähligen Fotos. Das macht richtig Spaß, sich das alles in Ruhe anzugucken.
Das Buch:
100 Seiten voller Essays verschiedener Filmemacher über ihre damalige Arbeit und Berlin im Allgemeinen und wunderbarer, häufig wenig bekannter Fotos, so das Paar Christiane F. und Alex Hacke oder Gudrun Gut zusammen mit Nena oder Mona Mur mit Psychic TV und und und. Dazu Poster, Flyer, Anmerkungen zu den Gruppen auf der CD und alles mögliche andere. Da macht das Blättern wirklich Spaß und zusammen mit der CD kann man sich einfach in die 80er Jahre fallen lassen.
Die CD:
Den Anfang macht MONA MUR, von der vor einiger Zeit eine wunderbare Best Of...-CD bei Dark Dimensions veröffentlicht wurde. Guter Wave Sound, der teilweise stark an MALARIA! erinnert, die damals ausgesprochen bekannt waren und auch heute noch ihren guten Namen bewahren können. Eben diese MALARIA! folgen mit ihrem „Trash Me“. Diese Frauenband war Weg weisend für die eigenständige deutsche Musik und zu Recht ist die Gruppe mit ihrem auch international konkurrenzfähigen New Wave eine echte Legende. Im kleineren Rahmen ist das auch DIE TÖDLICHE DORIS, die im Avantgardebereich neben den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN und P16.D4 bis heute bekannt sind und immer wieder auf Vinyl wieder veröffentlicht werden. Mit „Tanz Im Quadrat“ ist einer der zwar schrägen, aber insgesamt eingängigeren Titel des Multimedia-Projekts hier zu hören. Der Name CHRISTIANE F. ist den meisten Leuten durch das Buch/den Film „Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo“ ein Begriff. Dass sie später im NEUBAUTEN-Umfeld mehrere Platten veröffentlicht hat und auch im Film „Decoder“ als Darstellerin zu sehen war (und auf dem Soundtrack zu hören), wissen wahrscheinlich weniger Leute. Mit „Wunderbar“ (eine andere Version des SuperMaxSingle-Tracks „Süchtig“) ist ein unerwartet poppiges New Wave-Stück zu hören. Zu den bekanntesten Tracks aus der damaligen Zeit gehört sicher „49 Second Romance“ von P1/E, ein sehr intensiver Wave-Song eines offenen musikalischen Projektes, das es leider nur auf eine Single und Samplerbeiträge gebracht hat. Aus dem gleichen Umfeld stammt das Thomas Voburka-Projekt MONO/45UPM mit dem bekannten „Romantik Adieu“. SPRUNG AUS DEN WOLKEN sind eine weitere Band, die eigentlich dem Avantgarde-Sound á la NEUBAUTEN zuzuordnen waren, hier allerdings ist ein eher eingängiger Titel mit funkigem Bass zu hören. KOSMONAUTENTRAUM gehören auch in die Rubrik „kleine Legende“ und sind doch heute weitgehend vergessen. Auch sie spielen klassischen New Wave, der aber auch schon Elemente des frühen Gothic-Rock enthält, vor allem, was den Bass angeht, definitiv eine Band, die auch gut auf die „Ghostriders Of German Gothic“ gepasst hätte. Völlig unbekannt und wahrscheinlich nur ein spontan entstandenes Projekt im SO36-Geniale Dilettanten-Umfeld dürften VALIE EXPORT & MONSTI W. sein. Szenebekannt und kultig ist dann aber schon wieder „Hiroshima“ von ALEXANDER VON BORSIG. DIN A TESTBILD war/ist ein weiteres unglaublich vielseitiges Projekt mit wechselnder Besetzung, wobei lange nicht alles Material der Gruppe wirklich gut ist. Hier überzeugen sie jedoch mit „No Repeat“. FLUCHT NACH VORN waren damals ebenfalls ziemlich bekannt, haben sich dann aber in eine eher uninteressante musikalische Richtung entwickelt. Hier spielen sie recht treibenden Wave mit dem damals typischen Saxophoneinsatz, der mich aber nicht gerade vom Hocker reißt, was aber wohl an meiner grundsätzlichen Ablehnung diesem Instrument gegenüber liegt. Dass FRIEDER BUTZMANN seit vielen Jahren ein ungewöhnlicher Musiker ist, beweist er mit seiner Werbungs-Verarsche „Schmusewolle“ einmal mehr, aber sicher hätte es bessere Stücke für die CD gegeben. Dafür begeistern die genialen Dilettanten SENTIMENTALE JUGEND zusammen mit den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN mit ihrem kleinen Klassiker „Wollt Ihr Die Totale Befriedigung“ einmal mehr...das war der Sound der damaligen Zeit, als kurzfristig in der Musik alles möglich war. Und dann die großen EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN selbst mit dem legendären „Tanz Debil“. Keine andere Gruppe der damaligen Zeit war so konsequent und konnte sich bis in unsere Tage weltweit erfolgreich halten. Eine Ausnahmeband, wie es sie sicher nie wieder geben wird. Beschlossen wird die CD passenderweise mit MDKs „Berlin“, wobei es hier eine sehr seltsame Mischung aus Punk, NDW und Rock gibt, die den schönen Refrain „Berlin – Beton“ vorweisen kann, besser kann man den Zeitgeist in der Mauerstadt Anfang der 80er Jahre wohl kaum auf den Punkt bringen.
Neben der „Als Die Partisanen Kamen“-CD und dem schönen „So War Das SO36“-Video ist die CD wohl der beste Überblick über die „Genialen Dilettanten“. Mit gerade mal etwas über 50 Minuten Laufzeit ist die CD aber bei weitem nicht voll, was schade ist, denn es gab damals noch Massen an weiterem interessanten Material. Die limitierte Doppel-LP enthält als Bonus noch einen Track der leider fast vergessenen UNBEKANNTEN.
Wer sich nur ein wenig für das Thema Deutscher/Berliner Underground interessiert und entweder eine kleine Geschichtsstunde miterleben oder auch nur Erinnerungen auffrischen will, kommt an „Berlin Super 80“ auf keinen Fall vorbei. Zu einem recht moderaten und fairen Preis (für die Masse an Material und die großartige Aufmachung) bekommt man hier wirklich etwas geboten. Das schreit geradezu nach einer Fortsetzung und in anderen deutschen Städten als Berlin ist damals auch eine Menge passiert... (A.P.)
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