Hat Deutschland eine eigenständige Popkultur entwickelt? Wenn es nach Frank APunkt Schneider in seinem Buch geht: nein. Damit könnte man diese Rezension eigentlich beenden oder sich zumindest fragen, warum ein Autor – siehe auch „Als die Welt noch unterging – Von Punk zu NDW“ – zu dieser scheinbar einfachen Frage mit noch einfacherer Antwort gut 100 Seiten schreiben muss.
Schneider stellt dar, wie und vor allem warum Deutschland – seiner bescheidenen Meinung nach – keine „typisch deutsche“ Popmusik entwickelt hat, sondern (fast) immer nur die anglo-amerikanischen Entwicklungen mehr schlecht als recht kopiert. Und da wird es interessant und die Abhandlung lesenswert.
Wie so oft hat das Problem seinen Ursprung in der Zeit des Dritten Reichs, als die Bevölkerung ganz bewusst gleichgeschaltet wurde und gar keine eigene Identität entwickeln sollte. Was „deutsch“ sei, wurde von oben vorgegeben. Popmusik – auch, wenn es den Begriff damals noch gar nicht gab – hat für Jugendliche auch immer etwas mit Aufbegehren gegen die Elterngeneration zu tun, und das war natürlich unter den Nazis überhaupt nicht erwünscht. Das färbte auf die erste Nachkriegsgeneration ab, denn die Indoktrination konnte man nicht einfach so per Knopfdruck entnazifizieren. Als der Rock´n´Roll nach Europa schwappte, tat er sich erstmal in Deutschland schwer. Deutsche Gruppen, die sich mit der „neuen Musik“ beschäftigten machten daraus eine brave, schlagerinfizierte Version. Mit dem Beat der 60er Jahre, allen voran den Beatles, gründeten sich dann endlich jede Menge Bands, aber die spielten auch nur das nach, was sie von amerikanischen und englischen Bands gehört hatten. In den 70ern rollte der so genannte Krautrock durch die Welt und endlich nahmen andere Länder Notiz von deutscher Musik, aber hier fehlte der kommerzielle Erfolg.
Mit Punk und New Wave schien sich dann tatsächlich eine eigene deutsche Musik zu entwickeln, die in der von den großen Plattenfirmen ausgequetschten Neuen Deutschen Welle dann aber schnell wieder schlagerisiert wurde. Nächster „Versuch“ die „Hamburger Schule“ der 90er Jahre. Und heute beherrschen deutsche Produktionen die Charts, aber ist an Bands wie Silbermond, Juli, Klee, Xavier Naidoo und und und irgendwas speziell deutsches, außer, dass eben meist in dieser Sprache gesungen wird?
Frank APunkt Schneider beschreibt diese Entwicklung in seiner typischen Mischung aus erzählendem, informativen Text und wissenschaftlicher Aufarbeitung mit vielen Fremdwörtern. Das ist manchmal etwas trocken zu lesen, aber ein unterhaltsamer Reader über die deutsche Nachkriegs-Popgeschichte sollte das wohl auch nicht werden. Im Gegenteil, Schneider setzt ein gewisses Musikwissen voraus und führt als Beispiele Bands auf, ohne näher auf ihre Musik einzugehen. Als Einstieg für Laien ist „Deutschpop Halt´s Maul“ daher kaum geeignet.
Natürlich wird nur die Meinung des Autors wiedergegeben, zwar unterstützt von zahlreichen Zitaten, aber man kann oft ganz anderer Meinung sein. Klar hat Kraftwerk die elektronische Musik nicht erfunden, aber schon ein einflussreiches eigenes Ding darauf gemacht, das nachfolgende Bands beeinflusst hat. Schneider ordnet sie als nicht besonders wichtig ein. Musik wie die von Deutsch Amerikanische Freundschaft hatte natürlich Vorläufer, aber die kommerzielle Verwertbarkeit haben eben die Düsseldorfer ausgearbeitet. Aus internationaler Sicht ist Rammstein wohl im Moment die „typisch deutsche“ Band – kommt aber in dem Buch kaum vor. Überhaupt: wenn man sich in der Welt nach deutscher Musik umhört, werden garantiert eben Kraftwerk, Deutsch Amerikanische Freundschaft, Einstürzende Neubauten und Rammstein genannt Und dann noch die Scorpions – natürlich indiskutabel als deutsche Popkultur – und vermutlich Nena und Trio. International sind Bands wie Fehlfarben, Blumfeld, Kolossale Jugend, Tocotronic oder Mia im besten Falle Randnotizen, aber nicht typisch deutsch. Diese Sichtweise fehlt mir ein bisschen, denn was exemplarisch für ein Land ist, entscheiden mehr oder weniger die Menschen aus anderen Ländern, wobei die Grenze zum Klischee natürlich unscharf ist.
Der Ansatz von Schneider ist stark politisch geprägt, aber ist Popmusik heute noch politisch? Wenn man davon ausgeht, dass sie die Massen einlullen und ruhig halten soll, dann auf jeden Fall, nur eben unterschwelliger als in den 70er Jahren mit der direkten Konfrontation durch Ton Steine Scherben. Schneider arbeitet heraus, dass deutsche Popmusik weitgehend einen „wir sind wieder wer“-Aspekt rüberbringen möchte, ein gewisses Gefühl von Stolz. Ich bin aber der Ansicht, dass das weniger gewollt ist, sondern die jungen Musiker sich einfach nicht mehr so sehr mit der speziellen deutschen Vergangenheit beschäftigen und sagen „lasst mich mit dem alten Kram in Ruhe.“ Das mag daran liegen, dass heutigen Jugendlichen der Kontakt zur „Erlebnisgeneration“ fehlt. Wer in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen ist, hat vermutlich noch Großeltern und Lehrer gehabt, die aus erster Hand berichtet haben, das war Zeitgeschichte. Heute ist es nur noch Geschichte, die man aus Büchern und Filmen vermittelt bekommt. Jugendliche fragen sich „was hat das mit mir zu tun?“ Das macht den „neuen Stolz“ auf Deutschland nicht besser, aber zumindest nachvollziehbarer.
Ansätze von eigener deutscher Popkultur bestreitet auch Frank Apunkt Schneider nicht, so wird die Münchener Band Freiwillige Selbstkontrolle mehrfach erwähnt und auch Ton Steine Scherben-Sänger Rio Reiser wird Charisma zugesprochen (das aber in seiner Solokarriere zugunsten angepasster Musik angeblich wieder verlorenging). Aus meiner Sicht werden hier aber die Einstürzenden Neubauten viel zu wenig berücksichtigt. Und der Versuch einiger Dark Wave-Bands wie Das Ich oder Goethes Erben Anfang der 90er, deutschsprachige Texte in ungewöhnlicher Form zu vertonen hätte zumindest eine Erwähnung verdient gehabt, auch, wenn es im klassischem Sinne keine Popmusik war und vieles sich schnell in Peinlichkeit auflöste.
Wenn mich heute jemand nach typisch deutscher Musik fragte, würde ich ganz sicher Rammstein nennen, nicht, weil ich sie mögen würde, sondern, weil die Gruppe eben international so gesehen und gehört wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass Rammstein derzeit der einzige Act wäre, der eine Chance für Deutschland beim Eurovision Song Contest hätte, nicht wegen der Show, sondern weil sie als spezifisch deutsch angesehen werden. Auch, wenn sie sich mit ihrem Auftritt gemeinsam mit Heino beim Wacken Open Air mehr als unglaubwürdig gemacht haben. Ansonsten empfehle ich „Stand Rotes Madrid“ von Cpt. Kirk &. als aufregendes Hördokument für unvergleichbare deutsche Musik.
Insgesamt ist „Deutschpop Halt´s Maul“ ein interessanter Reader für fortgeschrittene Musikinteressierte für relativ kleines Geld. Man muss dem Inhalt nicht bedingungslos zustimmen, aber als Diskussionsgrundlage ist er sehr lesenswert. (A.P.)
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