Warum sind DIE ÄRZTE so groß geworden in den letzten über 35 Jahren? Warum ist eine kleine, lustige Punkband aus Berlin, die zwar durchaus auch kommerziell erfolgreich war, aber sich nach rund sechs Jahren Bandgeschichte aufgelöst hat, seit ihrer Wiedervereinigung vor nun mehr 25 Jahren zu einer der erfolgreichsten deutschen Bands überhaupt geworden?
Im Grunde könnte man es sich einfach machen und sagen, dass sie alles richtig gemacht haben (was natürlich so auch nicht stimmt) und sich nie haben verbiegen lassen. Und sie haben das ganze Musikgeschäft nicht allzu ernst genommen und sind dadurch glaubwürdig geblieben.
Dabei könnte man es belassen, aber wenn man gerne wissen möchte, WARUM das bei den ÄRZTEn genau so gelaufen ist, muss man auf „Das Buch Ä“ zurückgreifen, die von der Band autorisierte Biografie von Stefan Üblacker. War das Buch „Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf“ im Jahr 2001 die „Bibel“ für alle Sammler, weil dort JEDE Veröffentlichung aus dem ÄRZTE-Universum reich bebildert aufgeführt, so wurde es nach mehr als 15 Jahren Zeit, die Bandgeschichte erneut aufzuarbeiten. Üblacker hat dabei eine unfassbare Fleißarbeit vorgelegt und auf über 750 Seiten die Bandgeschichte ausgesprochen detailliert aufgeschrieben. Dabei dienten Artikel, alte Interviews, die Erinnerung des Autors, aktuelle Interviews mit Wegbegleitern und natürlich mit den Bandmitgliedern als Quellen, um ein wirklich umfassendes Bild der Band zusammenzufügen, wie es das bisher - und wohl auch in Zukunft - nicht gab.
Vor allem für die alten Fans, die DIE ÄRZTE schon in den 80er Jahren kannten, ist natürlich die detaillierte Nachzeichnung der frühen Jahre am interessantesten. Das hat auch damit zu tun, dass vor allem Berlin in der Zeit noch ein ganz besonderer Ort war, was Musik und Kunst anging. Schon damals hat das Trio sich nicht an Regeln gehalten, die es natürlich auch in der Punk- und Geniale Dilletanten-Szene gab. Gegen viele Widerstände sind sie ihren Weg gegangen bis hin zur überraschenden Auflösung der Gruppe auf dem Höhepunkt des damaligen Erfolges 1988. Natürlich berichtet das Buch über die weniger erfolgreichen Soloprojekte in den Jahren danach und die Tatsache, dass DIE ÄRZTE mit ihrer Comeback-Single „Schrei nach Liebe“ schlicht und einfach riesiges Glück hatten, genau den richtigen Song zum richtigen Zeitpunkt zu haben. Zufall vielleicht, wer weiß, wie es mit einer anderen „ersten“ Single gelaufen wäre?
„Schrei nach Liebe“ zeigte auch deutlich, dass DIE ÄRZTE klar Stellung beziehen, wenn es nötig ist und eben nicht nur die lustigen Funk-Punks waren und sind. Dabei stand aber immer auch der Spaß im Vordergrund.
Das Buch - leicht zu lesen, da unterhaltsam geschrieben - zeichnet die Bandgeschichte oft kleinteilig, manchmal aber auch episodenhaft nach. Scheinbar kleine Ereignisse werden sehr ausführlich beschrieben, andere, die man als Leser subjektiv für wichtiger hält, werden eher kurz angerissen. Man erfährt auch viel über die Hintergründe und Mechanismen des Musikbusiness, dafür aber wenig privates über die Bandmitglieder, beispielsweise über Freundinnen. Vermutlich war das Bedingung an den Autoren, damit es eben eine autorisierte Biografie werden konnte. Das ist natürlich schade, aber auch verständlich. Das Buch konzentriert sich fast ausschließlich auf die musikalische Seite.
Dabei wird auch deutlich, dass zwar die lange Freundschaft von Bela B. und Farin Urlaub (und natürlich Rod Gonzalez) die Grundlage für die Band war und ist, DIE ÄRZTE aber auch immer eine Art Unternehmen waren, das wirtschaftlich agieren musste. Erfolg war von Anfang an immer auch ein Ziel, als reine Hobbyband, die zufällig erfolgreich wurde, sah sich die Band wohl nie. Vor allem in den 2010er Jahren scheinen sich die Interessen der Musiker unterschiedlich entwickelt zu haben und DIE ÄRZTE wurden zu einer Zweckgemeinschaft. Zwar immer noch glaubwürdig und musikalisch relevant, aber vielleicht nicht mehr immer mit vollem Herzblut.
Zum Zeitpunk des Erscheinen des Buches gab es schon mehrere Jahre kein Lebenszeichen mehr von den ÄRZTEn. So erscheint ein unangekündigter Mini-Auftritt im Jahr 2016 auf einem Festival gegen Nazis wie ein Gottesgeschenk für den Autor, um das Manuskript abzuschließen. Musste man zuvor befürchten, dass die Band zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existierte, so gab dieser Auftritt den Fans die Hoffnung zurück, dass es vielleicht doch noch weitere Kapitel in der Bandgeschichte geben könnte. Und wenn das nicht passiert, so war es ein richtig guter Abschluss.
Natürlich gibt es auch jede Menge Bildmaterial zu bestaunen, darunter viel bisher unbekanntes. Dazu eine grobe Diskografie - für die ausführliche (zumindest bis 2001) muss man dann eben auf das „Meerschwein“-Buch zurückgreifen -, eine Liste aller bisherigen Auftrittsorte, eine komplette Songliste und jede Menge Fußnoten, die, und das ist der einzige kleine Kritikpunkt, nicht im Fließtext untergebracht wurden, sondern gesammelt am Ende des Buches, so dass man das Lesen immer wieder mit viel Blättern unterbrechen muss. Schließlich haben noch alle Interviewten ihre Lieblings-ÄRZTE-Lieder verraten und es gibt Widmungen und Danksagungen des Autors.
Das alles zusammen ergibt ein rundes Werk über die „Beste Band Der Welt“, das wohl so schnell nicht getoppt werden wird, es sei denn, die Band startet in ihren dritten Frühling und setzt ihre Erfolgsgeschichte noch 10 oder mehr Jahre fort - was man nicht ausschließen sollte. (A.P.)
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