The Exploited haben nicht gelogen, als sie Anfang der 80er Jahre sangen „Punk’s Not Dead“. Aber Punk hat sich verändert im Laufe von nunmehr rund 35 Jahren seit die Sex Pistols zwar nicht als erste, aber doch als medienwirksamste Band eine kulturelle Revolution ausgelöst haben. Diese Revolution war weniger musikalischer Natur, als dass plötzlich wirklich jeder etwas machen und veröffentlichen konnte. Natürlich wurde die Revolution gleich kommerzialisiert, damit sich bloß nicht wirklich etwas verändern konnte, aber im Underground hat sich der Do It Yourself-Gedanke gehalten und zwar weltweit und sehr vielseitig.
Die beiden Filmemacherinnen Julia Ostertag und Francesca Araiza Andrade zeigen das in ihrem Film „Noise And Resistance“ sehr gut, wobei sie sich überwiegend (aber nicht nur) auf Punk konzentrieren und hierbei in Europa bleiben. England, Deutschland, Russland, Spanien, Schweden stehen im Mittelpunkt. Wobei natürlich das Leben als Punk und DIY-Künstler in Deutschland viel einfacher ist, als in Moskau, wo man sich als Untergrund-Aktivist hin und wieder wohl wirklich in Lebensgefahr begibt. Anhand von Interviews und vielen Konzertausschnitten in besetzten Häusern, abbruchreifen Fabriken, auf winzigen selbstgebauten Bühnen oder bei unkommerziellen Festivals wird eine Szene gezeigt, die zwar nicht homogen aber doch europa- und weltweit vernetzt ist. Ich gebe gerne zu, dass ich von den meisten, eigentlich sogar allen Bands (bis auf Crass und Rubella Ballet) noch nie gehört habe, aber man merkt ihnen an, dass sie etwas sagen wollen, ohne des Spaß dabei zu vergessen. Zu hören und zu sehen sind SEEIN RED, ANTIMASTER, DISFEAR, FALL OF EFRAFA, PERSONANGREPP, LA CASA FANTOM, SJU SVARA AR, TOM SAWYER, POLITZEK, TRANSICION, VALD, VICIOUS IRENE, SOOKEE, WHAT WE FEEL, RUBELLA BALLET und CRASS. Keine Frage, wenn man sich in dieser Welt bewegt, ist man politisch und hat was zu sagen, denn natürlich könnte man es sich viel bequemer machen. Bequem wollen die Aktivisten es aber nicht haben. Wie weit es mit dem Zusammenhalt wirklich geht, wenn es ernst wird, wird nicht klar. Einige russische Musiker werden wohl aus Sicherheitsgründen nur gesichtsverfremdet gezeigt, kaum vorstellbar, dass so etwas in Deutschland, Spanien, Schweden oder England notwendig wäre.
Ob es diese sich selbst als anarchistisch sehende Szene in dieser Art heute gäbe, wäre nicht Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre die englische Band CRASS in vollkommener Konsequenz aktiv gewesen, möchte ich bezweifeln. CRASS war wirklich weitgehend unabhängig, eher ein Kollektiv als eine Band und wahrscheinlich den großen Plattenfirmen unheimlich, weil sie sie nicht vereinnahmen und kommerzialisieren konnten. Klar, dass die Band also auch in diesem Film vorkommen muss. Die in die Jahre gekommenen Ex-Mitglieder haben nichts von ihrer Glaubwürdigkeit verloren, nehmen sich aber auch selbst nicht zu wichtig, obwohl CRASS wahrscheinlich eine der wichtigsten englischen Bands aller Zeiten ist. Und genau das ist wohl der eigentliche Inhalt des DIY-Gedankens: tu was, aber stell Dich selbst nicht in den Mittelpunkt.
Der Film fängt das alles als eine Art Collage gut ein, es werden viele verschiedene Sichtweisen und Standpunkte klar, es gibt Ausschnitte von sehr unterschiedlichen Bands und man wird als Zuschauer wirklich einmal quer durch Europa gejagt. Was mir etwas fehlt, ist Humor. Das alles kommt doch sehr ernst rüber und bedient das Klischee, dass politisch aktive Menschen keinen Spaß haben können. Hier wird wirklich kaum gelacht. Zum anderen hätten die Musikausschnitte gerne etwas länger sein können, wenigstens ab und zu mal ein ganzer Song hätte das Ganze ein wenig aufgelockert.
Trotzdem machen die knapp 90 Minuten Spaß, wenn man sich für den Punk-Underground jenseits von Blink 182, Green Day und Konsorten (die durchaus auch ihre Existenzberechtigung haben) interessiert. Als Bonus gibt es eine gute halbe Stunde nicht verwendeter Szenen, einen Trailer und erweiterte Interviews mit einigen Beteiligten. Um weltweit Zuschauer zu finden, erscheint die DVD regionalcodefrei und überwiegend in englischem Ton. Die größten europäischen Sprachen gibt es als Untertitelspuren, wobei sicherlich russisch fehlt. Und vielleicht hätte man sogar chinesische und arabische Untertitel spendieren sollen, denn in solchen Ländern könnte so eine Veröffentlichung wirklich etwas bewegen.
Ein guter Film, auch ein wichtiger Film und vor allem, und das sollte man nicht vergessen: ein unterhaltsamer Film. Frei nach Emma Goldman: „Wenn ich dazu nicht tanzen kann, ist es nicht meine Revolution!“
Die DVD erscheint in Deutschland beim Label Good!Movies und wird über Indigo vertrieben, sollte also problemlos erhältlich sein. Die Bildqualität ist gut, die Tonqualität, vor allem bei den Liveaufnahmen, ist schwankend, was aber nicht so sehr stört, wenn man bedenkt, unter was für Umständen teilweise gedreht wurde. (A.P.)
|