FRANK TOVEY, alias FAD GADGET, einer der Vorreiter elektronischer Musik ist nun auch schon vier Jahre tot, aber natürlich noch lange nicht vergessen. Um den großen Künstler zu würdigen, der wohl neben Kraftwerk und DAF zu den einflussreichsten Electromusikern der 70er und 80er Jahre gehörte, hat Mute Records in enger Zusammenarbeit mit der Familie und den Fans eine 4-Disc-Box zusammengestellt, die weitaus mehr, als eine Best Of-Zusammenstellung ist, sondern im besten Sinne eine Huldigung an einen großartigen Künstler.
Auf jeweils zwei CDs und DVDs wird die gesamte Karriere von FAD GADGET und FRANK TOVEY beleuchtet, von ganz frühen Demos, die ihm den Plattenvertrag mit Daniel Millers Mute Records einbrachten, über die Phase in den späten 80ern und 90er Jahren, wo er unter seinem eigenen Namen die Schönheit des schlichten Gitarren-Pop-Songs wieder entdeckte, bis hin zu seinen Liveauftritten im Vorprogramm von Depeche Mode, die einst als seine Vorband begonnen haben, im Jahre 2001 und wohl den letzten Aufnahmen von einem 2002er Livegig. Natürlich enthalten die beiden CDs alle großen FAD GADGET-Klassiker von „Back To Nature“ und „The Box“, über „Ricky´s Hand“, „Lady Shave“, „Collapsing New People“, „Coitus Interruptus“ und „Love Parasite“ bis zu „Bridge Street Shuffle“, „The Liberty Tree“ und „Sam Hall“ (allerdings fehlt tatsächlich die Studioversion von „For Whom The Bells Toll“, unverzeihlich!). Auch Nebenprojekte und Kollaborationen, wie MKULTRA und die Arbeit mit Boyd Rice werden nicht ausgelassen. Dass dann auch noch zwei bisher unveröffentlichte Tracks ausgegraben wurden, ist eine schöne Dreingabe.
Einmal mehr wird einem klar, wie viele geniale Ohrwürmer dieser Mann praktisch ganz alleine geschaffen hat. Fast 25 Jahre währte seine Karriere und ernsthafte Aussetzer gab es eigentlich nie. Wirklich zum Pflichtkauf wird diese Veröffentlichung aber natürlich besonders durch die zwei DVDs, denn mal ehrlich: wie viele von uns hatten die Gelegenheit, FAD GADGET live zu erleben, außer als kleiner Punkt am Horizont bei den Depeche Mode-Konzerten und in einigen Clubs kurz vor seinem Tod? Auch Fernsehauftritte und Videoclips gibt es nur selten im Fernsehen zu sehen, im besten Falle wird mal der Auftritt bei „Formel 1“ auf irgendeinem lokalen TV-Sender wiederholt, auch die FRANK TOVEY AND THE PYROS Videoclips konnte man vor Jahren mal mit Glück auf MTV2, Tele 5 oder VH1 sehen, das war es aber schon. Die zwei DVDs entschädigen nun für Jahre des Wartens auf Bildmaterial und es ist Mute hoch anzurechnen, dass man nicht zwei einzelne, teure Veröffentlichungen daraus gemacht hat, sondern ein Komplettpaket zum fairen Preis anbietet.
Auf CD1 findet man zunächst einmal eine wohl subjektive Zusammenstellung von Songs, die typisch für FAD GADGET und FRANK TOVEY sind. Die „Hits“ und Klassiker vermisst man vielleicht zunächst, aber ein Blick auf die Tracklist von CD2 reicht aus, um sich wieder zu beruhigen. Dazu gibt es Klänge des Kurzzeitprojektes MKULTRA und einen Ausschnitt aus der Boyd Rice-Kollaboration „Easy Listening For The Hard Of Hearing“. Sowie die zwei bereits erwähnten unveröffentlichten Tracks.
CD2 beginnt bei „State Of The Nation“ mit verzerrtem, fast atonalem Krach, aus dem sich langsam ein absolut minimalistischer Rhythmus schält. Dazu kommen reduzierte, monotone Synthie-Klänge und ein völlig gefühlloser Gesang. Das erste Stück der Original-Demos ganz vom Beginn der Karriere. „The Box“ gehört wohl zu den minimalistischsten Popsongs aller Zeiten und dürfte unter Fans von Minimal-Electro-Musik schon bald zu den Favoriten zählen, gleich neben Sachen wie The Normal. Die Minimalität von „Salt Lake City Sunday“ muss Ende der 70er Jahre für die Musikhörer, die zum einen vollen Discosound, zum anderen ruppigen Punk-Rock oder auch Bombast-Rock á la Queen gewohnt waren unerhört gewesen sein, ähnlich wie beispielsweise Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire. Im Gegensatz zu denen hat FAD GADGET aber immer auch den Aspekt der Eingängigkeit in seinen Stücken, was man schon auf den frühen Demos hört. Das bekannte „Coitus Interruptus“ ist ein gutes Beispiel dafür und deutet nur an, was später aus dem Stück wurde. „Back To Nature“ klingt gegen die später veröffentlichte Version noch etwas „dünn“, hat aber auch eine sehr fesselnde Spannung.
Sinnvollerweise folgen den Demos direkt die offiziell veröffentlichten Versionen der gleichen Songs, die dann ja mit der Hilfe von Daniel Miller eingespielt wurden. So kann man hervorragend erkennen, wie sich die Songs in relativ kurzer Zeit weiter entwickelt haben und FAD GADGET zu einem der wichtigsten frühen New Wave-Acts werden ließen. Heutzutage schockieren oder verstören die Aufnahmen sicher niemanden mehr, aber damals waren sie wohl purer Avantgarde-Pop.
Auf der Mute Records Website konnten die Fans über ihre Lieblingslieder abstimmen und daraus wurden dann die „Fans’ Top Five“ ermittelt. Das Ergebnis ist kaum überraschend, „Back To Nature“, „Ricky’s Hand“ und „Collapsing New People“ sind dabei, die All-Time-FAD GADGET-Klassiker.
Nach dieser für Fans schon sehr gelungenen reinen Musikzusammenstellung kann man sich direkt an die zwei voll gestopften (rund fünf Stunden) DVDs machen. Mitschnitte von Fernsehauftritten, Videoclips, Kurzfilme, Ein filmisches Portrait und jede Menge Livematerial gibt es zu bewundern, wobei die meisten Fans einen Großteil des Materials noch nie oder nur in mieser Bild- und Tonqualität gesehen haben dürften. Nun, Referenzqualität darf man hier natürlich auch nicht erwarten, stammen einige Mitschnitte doch aus Zeiten, als Videokameras noch nicht problemlos und kostengünstig erhältlich waren und von digitaler Aufnahmequalität höchstens in Science Fiction-Filmen geträumt werden durfte. Doch wirklich stören tut das nicht, im Gegenteil, dadurch fühlt man sich gleich noch mehr in die gute alte Zeit zurückversetzt. Authentizität nennt man das wohl! Wer ein bisschen was über FAD GADGET weiß, der ahnt bereits, dass er auch optisch bei den Liveshows einiges geboten bekommt.
Klar liegt der Schwerpunkt sowohl bei den CDs, als auch bei den DVDs auf der Arbeit unter dem Namen FAD GADGET, also bei den elektronischen Klangwelten, aber unterschätzen sollte man die unter FRANK TOVEY veröffentlichten Gitarrensachen auf keinen Fall, denn da gibt es einige sehr schöne Lieder zu hören.
Das gesamte Artwork der Veröffentlichung ist ziemlich schlicht gehalten, was gut passt, Im 12-seitigen Booklet gibt es neben einigen mehr oder weniger bekannten Bildern ausführliche Credits zu den Songs und Videos, sowie Linernotes von der Familie, Filmregisseur Alex Proyas, Anton Corbjin, Marc Almond und Boyd Rice (interessantes Statement: „Ich glaube unglücklicherweise nicht, dass Franks Einfluss auf andere Musiker so groß war. Ich denke aber, dass elektronische Musik dann heute interessanter wäre.“). Fehlen tut eigentlich Daniel Miller mit ein paar Zeilen seiner ersten musikalischen Entdeckung. Und ein paar mehr unbekannte Bilder wären schön gewesen, aber man kann wohl nicht alles haben.
In jedem Fall ist diese 4-Disc-Box ein Monument für FRANK TOVEY/FAD GADGET, der so eine Würdigung wohl mehr als verdient hat, denn auch, wenn der ganz große kommerzielle Durchbruch eher den Epigonen vergönnt war, so hat TOVEY doch jede Menge unvergessliche, geniale Klassiker geliefert und dürfte für Musikstile wie Minimal-Electro, New Wave, Synthie-Pop, Industrial-Pop bis hin zum Techno Weg weisend gewesen sein.
Diese 4-Disc-Veröffentlichung gehört eigentlich ohne Ausnahme in jede ernsthafte Musiksammlung mit Schwerpunkten wie Electro und New Wave. Mehr gibt es dazu nicht mehr zu sagen! (A.P.)
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