Haikos Filmlexikon:
Wie kam es dazu, dass Ihr Hörspielliebhaber seid und wie ist die Entscheidung gefallen, irgendwann selber ein Label zu gründen?
Marc Gruppe: Also zu Hörspiel-Fans wurden wir natürlich durch von älteren Geschwistern ererbte erste Schallplatten. Besonders Märchen-Schallplatten mochte ich sehr. Das war eine tolle Ergänzung zu Bilderbüchern. Später waren natürlich Jugend-Krimi-Hörspiele wie „Fünf Freunde“ und „Die drei ???“ der Hit im Kinderzimmer. Diese Reihen haben ja damals alle Kids geliebt, gehört und gesammelt. Später ging es dann mit den ersten Gruselhörspielen los, was eine feine Sache war. Grusel funktioniert allein über Audio einfach wunderbar, weil die eigene Phantasie die Bilder zu den Worten, Geräuschen, Atmosphären und der Musik malt. Das ist ja quasi nun auch unser Betätigungsfeld geworden. Allerdings ist das mehr auf Umwegen passiert, denn eigentlich wollte ich mal Musiktheaterregisseur werden und Opern, Operetten, Musicals auf die Bühne bringen. Das ist etwas, das ich z. Zt. nur „nebenbei“ mache. Aber die Geschichte, wie es zur Gründung von Titania Medien, unserem Label kam, ist sehr schön und ich erzähle sie immer gerne:
Anfang 2002 besuchte ich gemeinsam mit Stephan Bosenius eine Theateraufführung, in der Dagmar von Kurmin die Hauptrolle spielte. Ich hatte diese Aufführung recherchiert, da Frau von Kurmin eine unserer Lieblingssprecherin auf so mancher LP war, die wir in unserer Kindheit rauf und runter gehört hatten. Nach der Vorstellung ergab sich die Gelegenheit Frau von Kurmin kennen zu lernen. Die Sympathie war so groß, dass wir die Adressen austauschten. Auf der Autorückfahrt entstand dann die Idee, eigene Hörspiele zu produzieren, da wir mit dem, was für den erwachsenen Hörer zu dieser Zeit auf dem Markt war, sehr unzufrieden waren. Daher war es verlockend, nun eigene Wunschhörspiele zu produzieren und Frau von Kurmin zu einem Comeback in diesem Medium zu verhelfen.
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Mit welchen Voraussetzungen (technische Erfahrung, Regiekenntnisse, Marketingwissen...) seid Ihr am Anfang an die Sache herangegangen und lief es so, wie Ihr Euch das vorgestellt habt?
Stephan Bosenius: Ein Trumpf in unserer Hand war sicherlich beim Labelstart, dass Marc bereits während seines Theaterwissenschafts-Studiums sehr erfolgreich Kindertheaterstücke für einen renommierten Theaterverlag geschrieben hatte und zudem über professionelle Regieerfahrung verfügte. So konnten wir diesen ja nicht gerade unwesentlichen Bereich schon einmal bestens aus den eigenen Reihen abdecken. Ich selbst habe Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Organisationsentwicklung/Qualifikationsmanagement studiert, was sich gut mit Marcs Fähigkeiten ergänzte. Die Organisation ist somit in unserem Label, welches wir Ende 2002 gründeten, mein Arbeitsbereich. In der Zeit bis zur ersten Produktion belegten wir diverse Seminare, Fortbildungen und Kurse, um uns fit für die wirtschaftlichen, steuerlichen und marketingtechnischen Anforderung unserer Firmengründung zu machen. Denn wir waren uns einig, dass wir das entweder in allen Arbeitsbereichen ordentlich oder gar nicht machen wollten. Glücklicherweise haben wir auf einem dieser Seminare unseren Tontechniker Kazuya kennen gelernt, der von Anfang an in unseren Produktionen für den guten Ton gesorgt hat. Marc wurde bei den Arbeiten an „Edgar Wallace – Das indische Tuch“ dann von ihm in so manches Geheimnis eingeweiht und macht seitdem den Dialog-Rohschnitt unserer Produktionen immer selbst.
Im Prinzip lief dann, als es so richtig losging und wir unser erstes Hörspiel aufnahmen, alles ganz prima. Wir hatten alles zusammengekratzt, was an Erspartem zur Verfügung stand und eine super tolle Besetzung zusammen bekommen, die alle mit viel Lust vor dem Mikro zu Werke gingen. Das sind traumhafte Erinnerungen und ich denke es ist klar, dass wir da Blut geleckt haben und einen großen Ehrgeiz entwickelten, unser Label wirtschaftlich auf feste Füße zu stellen, um weiter machen zu können. Im August 2003 kam dann mit „Edgar Wallace – Das indische Tuch“ die erste Hörspiel-Produktion heraus. Dagmar von Kurmin glänzte in der Hauptrolle und gewann auf Anhieb verdientermaßen den begehrten Hörspiel-Award als „Beste Sprecherin in einer Hauptrolle“. Insgesamt wurde die Produktion mit stolzen neun Hörspiel-Awards prämiert. Der Anfang war gemacht.
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Welche (qualitativen) Ziele habt Ihr Euch am Anfang gesetzt und habt Ihr die nach eigener Einschätzung erreicht?
Marc Gruppe: Wir sind angetreten, die Hörspiele zu produzieren, die unserer Meinung nach auf dem Hörspielmarkt für Erwachsene fehlten: atmosphärisch dichte Vertonungen, gesprochen von großartigen Schauspielern. Erzählt werden Geschichten, die nicht auf Groschenheften basieren, sondern auf den Meisterwerken der Schauer-Romantik. Ich habe persönlich nichts gegen Groschenhefte oder Vertonungen dieser Hefte, aber es ist auch schön, wenn die Geschichten und die darin vorkommenden Figuren etwas mehr Tiefe, Vielschichtigkeit und Charakter haben, denke ich. Wir produzieren anspruchsvolle Unterhaltung für den erwachsenen Hörer und waren von Anfang an sehr dankbar dafür, dass unsere ästhetischen Vorstellungen auf recht fruchtbaren Boden fielen und der Beifall groß war. Dass wir nun gerade zum dritten Mal in Folge (!) den Hörspiel-Award als „Bestes Hörspiel-Label“ gewonnen haben, ist schon eine große Freude für uns und spornt einen an, weiter zu machen und sich immer wieder zu verbessern. Insofern, ja, ich denke schon, dass wir die zu Anfang gesetzten Ziele erreicht haben. Wer hätte z. B. gedacht, dass wir all’ diese tollen Sprecher einmal im Studio haben würden. Und das sind immerhin mittlerweile über 60 und allesamt die Creme de la Creme der Szene. Dennoch werden wir nicht ruhen noch rasten und versuchen immer noch besser zu werden. Auf errungenen Lorbeeren ausruhen ist unsere Sache sowieso nicht.
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Nach welchen Kriterien wählt Ihr die Stoffe aus, die Ihr in den Serien „Krimi-Klassiker“ und „Gruselkabinett“ vertont?
Stephan Bosenius: Das ist ganz unterschiedlich. Marc hat sich bereits während seines Studiums sehr intensiv mit der Literatur der Schauer-Romantik auseinander gesetzt und auch über Theater-Vampire seine Magisterarbeit verfasst. Er kennt daher sehr viele Werke dieser Epoche. Einiges wurde uns aber auch von den Fans der Reihen ans Herz gelegt. Nach unserem Krimi-Einstand mit dem „indischen Tuch“ bat uns Marcs Studienfreundin Uli, doch „Das Zeichen der Vier“ einmal zu lesen. Sie ist ein großer Holmes-Fan und wünschte sich eine authentische Hörspiel-Version, in der Holmes und Watson sich einmal nicht wie Rentner auf Ermittlungen anhören. Den Wunsch haben wir gerne erfüllt, da der Roman sehr inspirierend war. „Die blaue Hand“, aus der Feder von Edgar Wallace zu vertonen, war eine Empfehlung von Joachim Kramp, dem deutschen Wallace-Experten schlechthin.
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Wie wichtig ist es bei der Serie „Gruselkabinett“, dass der Stoff noch nicht zigfach vertont wurde?
Marc Gruppe: Nicht so wichtig. Wir fahren in dieser Reihe ja bewusst einen guten Mix, in dem sich Bekanntes mit eher Unbekanntem oder ganz und gar Unbekanntem immer hübsch abwechselt. Sicher war es gut mit unbekannteren Titeln zu starten, allerdings wurden wir schon sehr früh immer auch nach Vertonungen der Klassiker dieses Genres gefragt. Mit „Das Phantom der Oper“, „Frankenstein“, „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ und nun ganz frisch mit „Dracula“ inklusive der Vorgeschichte „Draculas Gast“ haben wir mittlerweile etliche Top-Titel der Gothic Novel im Programm des Gruselkabinetts. Diese haben wir natürlich auch sehr gerne produziert, weil es zeitlos gute Stoffe sind, die auf Grund ihrer literarischen Qualität auch verschiedene Interpretationen zulassen. Insofern heben sich unsere Versionen – das wissen unsere Fans – auch immer von anderen Hörspielvertonungen der gleichen Vorlage deutlich ab.
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Wie kam es dazu, dass das „Gruselkabinett“ ein neues Coverdesign bekommen hat? Wart Ihr selber mit dem alten Design nicht mehr zufrieden oder hat Euch möglicherweise Kritik von Hörern zu der Änderung bewogen?
Stephan Bosenius: Beides. Man lernt ja auch dazu. Zwar war das alte Design auch schön, aber es hat sich schnell gezeigt, dass es verschiedene Probleme damit gab. Dem Buchhändler war es zu schrill von der Farbgebung. Viele Käufer fanden es zu steril in der Optik und in den Fotos zu wenig gegenständlich. Überhaupt stellte sich heraus, dass sich über das Medium Foto das klassische 19. Jahrhundert-Flair nicht so recht transportieren ließ. Daher haben wir begonnen, nach einem Illustrator Ausschau zu halten und letztlich in Firuz Askin auch den Mann für diese schwere Aufgabe gefunden. Den Vertriebswechsel zu Lübbe Audio haben wir schließlich genutzt, um die Coverumstellung umzusetzen. Dass das Cover zu „Der Freischütz“ beim diesjährigen Hörspiel-Award mit dem Publikums- und Kritiker-Award als „Cover des Jahres“ ausgezeichnet wurde, ist eine wunderbare Bestätigung, dass dieser Schritt richtig war und eine große Freude für uns alle.
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Nach unzähligen „Dracula“-Vertonungen anderer Labels legt Ihr nun erstmals eine 4-CD-Box mit der vollständigen Geschichte vor. Darf man davon ausgehen, dass diese Veröffentlichung Euch besonders am Herzen lag oder spielt auch der verkaufsträchtige Name des Vampirs eine Rolle?
Marc Gruppe: Ich denke, wer Grusel produziert, der muss einfach irgendwann auch einen „Dracula“ im Programm haben. Dieser Roman ist ja sozusagen das Herzstück einer ganzen Gattung. Daher lag uns diese Produktion wirklich besonders am Herzen, natürlich hoffen wir aber auch auf gute Verkaufszahlen, keine Frage. Übrigens habe ich 1986 bereits mein erstes Dracula Hörspiel „produziert“. Damals war ich zwölf und habe mit einem Freund und einer Freundin aus den uns damals zur Verfügung stehenden technischen Mitteln alles herausgeholt, was ging. Ist gar nicht übel geworden, auch hübsch mit Musik unterlegt und mit liebevoll selbst gemachten Geräuschen. Damals hätte ich nicht gedacht, dass das mal mein Beruf werden würde …
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Wie geht es beim „Gruselkabinett“ weiter?
Stephan Bosenius: Wir bemühen uns jeweils vier Folgen im Frühjahr und vier im Herbst herauszubringen. Im Oktober geht es weiter mit einer Vertonung von „Der Werwolf“, basierend auf der Erzählung des „Drei-Musketiere-Autors“ Alexandre Dumas und „Der Hexenfluch“. In letzterem erwehren sich zwei pensionierte Rentnerinnen im Amerika der 1960er Jahre tapfer den Auswirkungen eines alten Fluches. Diese Produktion ist durchaus als Hommage an das berühmte Europa-Hörspiel „Die tödliche Begegnung mit dem Werwolf“ zu verstehen. Sehr gefreut hat uns, dass wir mit Edith Schneider (deutsche Stimme von Doris Day, Ava Gardner und Maggie Smith in „Harry Potter“), sowie Marianne Wischmann (deutsche Stimme von Olivia de Havilland, ‚Miss Piggy’, ‚Raquel Ochmonek’ in „Alf“ und ‚Sylvia Fine’ in „Die Nanny“) zwei herrliche Sprecherinnen im Studio hatten. Im November geht es dann weiter mit „Der fliegende Holländer“ und „Die Bilder der Ahnen“, letzteres ist eine Geistergeschichte aus der Feder des „Freischütz“-Autoren Johann August Apel.
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Werden die „Krimi Klassiker“ ebenfalls fortgesetzt und darf man da denn auch andere Autoren als Edgar Wallace und Arthur Conan Doyle erwarten? Wäre eine „Miss Marple“- oder „Hercule Poirot“-Vertonung im Bereich des möglichen?
Stephan Bosenius: Bei den Krimi Klassikern sieht es eher düster aus. Leider ist der Markt mittlerweile überschwemmt mit unzähligen Wallace- und Holmes-Hörspielen und –Hörbüchern, dass man da nicht mehr wirklich viel besehen kann. Auch wenn uns immer wieder bescheinigt wird, dass unsere Vertonungen der beiden Autoren die besten seien, es gibt einfach zu viele, die auf der gleichen Vorlage basieren. Die Lizenz-Lage im Fall Agatha Christie sieht auch nicht sehr rosig aus, da kann ich wenig Grund zur Hoffnung geben. Gerne würden wir „unseren“ Holmes und seinen Watson wieder auf Ermittlungs-Tour schicken, die Frage ist nur „wie“. Daran überlegen wir noch herum.
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Wie kommt Ihr in Kontakt mit Euren Sprechern und wie überzeugt Ihr sie davon, dass Eure Produktionen etwas ganz besonderes sind? Den meisten Sprechern hört man an, dass sie mit großem Spaß und sehr engagiert bei der Sache sind...
Marc Gruppe: Das freut uns zu hören. Da wir mittlerweile ja– wie bereits erwähnt – mit über 60 Sprechern gearbeitet haben, es im Studio immer sehr nett und konzentriert zugeht und man dem Endergebnis auch die Liebe zum Detail anhört, die wir haben, ist unser Ruf in der Branche ziemlich gut. Vor allem wissen Sprecher, die ja alle Schauspieler sind, vor allem aber ein gutes Skript, eine gute Rolle und eine professionelle Regie zu schätzen. Bei uns können sie dann meist zeigen, was alles in ihnen steckt, da eine große Vielseitigkeit für die mitunter sehr facettenreichen Rollen gefordert wird. Solche Möglichkeiten lassen sich die meisten nicht entgehen – und kommen immer gerne wieder.
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Darf man in Zukunft auch neue Serien von Euch erwarten, möglicherweise mal eine Science Fiction-Reihe, oder wollt Ihr Euch auf die erfolgreichen Reihen konzentrieren?
Stephan Bosenius: Science Fiction eher nicht. Das machen zurzeit ja zum Beispiel auch die Kollegen von Stil ganz außerordentlich gut. In der Tat wird es aber im nächsten Jahr eine neue Reihe von uns geben. Das geht aber eher in Richtung romantisch-nostalgische Unterhaltung. Genaueres werden wir voraussichtlich noch in diesem Frühjahr verkünden.
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Wird es möglicherweise auch einmal selbst geschriebene Storys geben, also keine literarischen Adaptionen?
Marc Gruppe: So es die Zeit erlaubt, warum nicht. Es spuken da schon nette Ideen in meinem Kopf herum. Es ist nur zu wahrscheinlich, dass da mal was kommen wird.
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Was wollt Ihr sonst noch sagen?
Stephan Bosenius: Das waren gute Fragen. Danke!
Kontakt: www.titania-medien.de
(A.P.)
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