Nachdem Peter Hook vor einiger Zeit seine Joy Division-Autobiografie „Unknown Pleasures“ veröffentlicht hat, fühlte sich Bernard Sumner wohl mehr oder weniger genötigt, seine Sicht der Dinge aufzuschreiben. Mit „New Order, Joy Division Und Ich“ hat er das getan, gleichwohl umfassender als sein Kollege, denn die Zeit mit New Order bis ins Jahr 2014 wird mit abgedeckt.
Um es gleich vorweg zu nehmen: bei diesem Buch handelt sich NICHT um eine Bandbiografie der Gruppen Joy Division und New Order, sondern um eine Biografie von Bernard Sumner – aber natürlich sind die beiden Bands ein großer Teil seines Lebens.
Los geht es natürlich mit einer umfassenden Beschreibung seiner Kinder- und Jugendjahre im Arbeitermilieu von Manchester. Aufgrund der familiären und finanziellen Verhältnisse war das Aufwachsen in der grauen Industriestadt wohl nicht immer einfach, doch Sumner verklärt das nicht und hatte im großen und ganzen wohl eine relativ normale Jugend für die damalige Zeit. Zumindest blickt er nicht im Zorn zurück. Irgendwann beginn er sich für Musik zu interessieren und Mitte der 70er Jahre gerät er in die frühe englische Punk-Szene, um bald darauf die erste Band zu gründen, aus der dann zunächst Warsaw und schließlich Joy Division hervorgeht. Wie die einzelnen Bandmitglieder zusammengefunden haben, wird recht oberflächlich beschrieben, lediglich über Ian Curtis erfährt man hier und da etwas mehr. Sumner beschreibt im Folgenden die Aufnahmen zur ersten Platte, weitere Studioaufenthalte und einige Anekdoten von Auftritten, bei denen natürlich auch immer wieder Ian Curtis im Mittelpunkt steht. Der Selbstmord von Curtis im Mai 1980 wird beinahe nebenbei auf einer Seite abgehandelt. Vielleicht ist so eine Erfahrung auch zu persönlich, um sie breit auszuwalzen. Damit ist dann etwa die erste Hälfte des 336 Seiten langen Buches zu Ende. Die zweite Hälfte beschäftigt sich fast komplett mit den knapp 35 Jahren danach und somit überwiegend mit New Order. Allerdings wird das verhältnismäßig episodenhaft beschrieben.
Recht ausführlich wird der Anfang der Band und die Produktion der ersten LP „Movement“ erzählt, dann die „Entdeckung“ der Dance-Music in den USA und in der Folge der musikalische Stilwechsel und der Erfolg der wegweisenden Maxi „Blue Monday“. Ein großes Thema ist auch die Gründung des „Hacienda“-Clubs in Manchester, in den die Band eine Menge Geld steckte und im Laufe der Jahre noch viel mehr verlor. Merkwürdigerweise werden in der Folge die Alben – und damit Jahre der Bandgeschichte – „Power Corruption And Lies“, „Low Life“ und „Brotherhood“ kaum erwähnt. Die Erzählung wird erst wieder ausführlicher mit „Technique“ und geht mit der Produktion von „World In Motion“ für die englische Fußballnationalmannschaft weiter. Dazu immer wieder Tourerlebnisse, vor allem in den USA und die Faszination für die Spät 80er Acid-House-Bewegung. Erwähnt wird auch die Nebenband Electronic zusammen mit Johnny Marr und Neil Tennant, der Neustart von New Order nach längerer Pause in den 90ern und natürlich der Ausstieg von Peter Hook. Dieser wird überraschend persönlich aufgegriffen und es schwingt eine gewisse Bitterkeit bei Sumner mit, weil er die Gründe für das Zerwürfnis wohl nicht richtig verstehen kann. Hier wäre es sehr interessant, Peter Hooks Sichtweise zu lesen. Mit guter Chance schreibt er vielleicht noch ein Buch über seine Jahre mit New Order.
Zu den Themen, die an der Oberfläche bleiben, gehören die Drogen inklusive Alkohol, die wohl vor allem Mitte der 80er bis Mitte der 90er eine Rolle in der Band gespielt haben. Sumner erwähnt das zwar immer wieder, setzt sich damit aber weder positiv noch kritisch auseinander. Auch über die anderen Bandmitglieder erfährt man wenig, aber wie bereits erwähnt: es ist eine Bernard Sumner-Biografie.
Der Schreibstil ist flüssig und leicht zu lesen, der Informationsgehalt für Fans ist groß, da man doch die eine oder andere Anekdote noch nicht kannte. Acht Seiten mit privaten Fotos und ein Stichwort-Index ergänzen das Buch. Auf eine Diskografie hat man verzichtet. Wahrscheinlich ist das auch besser so, denn sie wäre wohl eher rudimentär ausgefallen – da gibt es im Internet genug stets aktuelle Quellen. Sehr interessant ist die Transkription einer Audioaufnahme von einem Hypnose-Experiment, das Sumner mit Ian Curtis 1980 durchgeführt hat. Den Inhalt der Mitschrift lässt Bernard Sumner zum Glück unkommentiert, da so etwas nach 35 Jahren wohl kaum seriös wäre, zumal Curtis nichts mehr dazu sagen kann. Alleine die Dokumentation ist für Fans aber auf jeden Fall eine Sensation.
Insgesamt ist „New Order, Joy Division Und Ich“ ein absolut lesenswertes Buch, natürlich vor allem für Fans der Band, aber auch für Musikfans im Allgemeinen, die sich für Popmusik der 80er Jahre interessieren. Klar sein sollte man sich aber, dass hier nur die Sichtweise eines Einzelnen beschrieben wird, vor allem bei den kritischen Ereignissen wie der Trennung von Peter Hook. Ich bin mir aber relativ sicher, dass wir hierzu in nicht allzu ferner Zukunft auch dessen Sicht der Dinge erfahren werden. Für Joy Division- und New Order-Fans unverzichtbar. (A.P.)
ISBN 978-3-85445-471-7 - Hannibal Verlag
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