(Rowohlt Verlag)
Ein Mann steht an einer Ampel, plötzlich erblindet er. Von einem Augenblick zum anderen. Panisch ruft er um Hilfe. Ein Passant nimmt sich seiner an und fährt ihn nach Hause und als er ihn abgesetzt hat, nutzt der die Gelegenheit und klaut dem Mann sein Auto. Kurz darauf erblindet auch er. Als ein Augenarzt in der Nacht über seinen Lehrbüchern schwitzt, um herauszufinden, was das ist, verliert auch er sein Augenlicht. Am nächsten Tag wird er abgeholt, die Regierung greift hart durch und interniert alle Blinden in einer Irrenanstalt, damit die Epedemie nicht um sich greift. Was aber keiner weiß: Die Frau des Augenarztes hat nur vorgetäuscht, dass sie blind sei. Die Verhältnisse werden immer schlimmer, immer mehr Blinde werden in die Anstalt gefercht…
Der portugiesische Schriftsteller José Saramago, der 1998 den Literatur-Nobelpreis gewonnen hat, schafft hier ein Szenario, das an beste Endzeiten erinnert. Wen man blind ist, ist man trotzdem noch lebensfähig, aber wie ist es, wenn die ganze Menschheit nicht mehr sehen kann? Sobald die Versorgung zusammenbricht, bricht auch die Gesellschaft zusammen. Die Menschen lernen, in unfassbarem Schmutz zu leben, sie müssen töten, um zu überleben und sie entwickeln sich zu Tieren. Es ist das alte Spiel: Es braucht nur einige wenige Unruhestifter, um die Welt aus dem Ruder laufen zu lassen, das soziale Gleichgewicht ist sehr empfindlich. Eine Stadt, die in Kot, Müll, verrottenden Leichen und anderem Schrott erstickt.
Was etwas stört, ist die Art des Schreibens. Dialoge werden ohne Anführungsstriche und nähere Erläuterung, wer was sagt, einfach per Komma hintereinander gesetzt, die Sätze sind teilweise unvollständig und kommen wie Pistolenschüsse. Verwinkelungen gibt es kaum. Auch werden die Personen nicht mit Namen benannt, sondern nur als „Die Frau des Arztes“, „Die Frau mit der dunklen Brille“, „Der erste Blinde“ und so weiter bezeichnet. Warum das in der Gruppe, die so eng miteinander lebt, so ist, verstehe ich nicht. Gerade in so einer intimen Gruppe ist es doch nur natürlich, sich mit Namen anzusprechen. Dadurch jedenfalls schafft Saramago eine gewisse Distanz zum Leser, der so nicht richtig mit den Figuren mitfühlen kann. Auf der anderen Seite betont das natürlich die Kälte und Hoffnungslosigkeit. „DIE STADT DER BLINDEN“ ist alles in allem aber trotzdem ein unglaublich mitreißendes Buch mit einer unglaublichen Tiefe. Hier wird gezeigt, was es heißt Mensch zu sein, im positiven, wie auch im negativen Sinne. Und was es heißt, Teil einer Gesellschaft zu sein. (Haiko Herden)
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