Im Jahr 2016 erschien das Buch „Grenzkontakte – Exkursionen ins Abseits der Filmgeschichte“ des Filmwissenschaftlers (und natürlich auch -Fans) Marcus Stiglegger, ein Reader, der einen manchmal überraschenden Blick auf eher ungewöhnliche Filme unterschiedlichster Genres warf. Ob damals schon geplant war, zwei weitere Bücher dieser Art mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu schreiben, weiß ich nicht, aber nun ist rund zwei Jahre später die Fortsetzung „Grenzüberschreitungen - Exkursionen In Den Abgrund Der Filmgeschichte“ erschienen, in dem es um Horrorfilme geht. Interessanterweise gibt es erneut eine thematische Überschneidung mit dem Kollegen und Filmgelehrten Christian Keßler. Vor zwei Jahren haben beide Herren zeitgleich und beim selben Verlag Bücher veröffentlicht, die sich mit ungewöhnlichen, unterschätzten Filmen beschäftigten, nun liefern beide erneut gleichzeitig und wieder im gleichen Verlag Bücher über Horrorfilme ab. Herr Keßler teilte mir mit, dass es sich wirklich um reinen Zufall handelt, aber bemerkenswert ist das schon. Wie gehabt ist das für den filminteressierten Leser aber sehr spannend, die Thematik aus zwei unterschiedlichen Perspektiven und Ansätzen zu beleuchten. Während Keßler immer mit viel Sprachwitz hauptsächlich aus Sicht des Fans - natürlich durch großes Fachwissen untermauert - schreibt, verfolgt Marcus Stiglegger eher einen sachlichen Ansatz, der auf Information, Analyse und Interpretation konzentriert ist. Natürlich ist keine der Herangehensweisen besser oder schlechter, als die andere, sind sind einfach nur unterschiedlich.
Im Grunde kann man vieles, was schon zu „Grenzkontakte“ geschrieben wurde, auch bei „Grenzüberschreitungen“ wiederholen. In Form von unterschiedlich langen Texten wird meist von einem bestimmten Film ausgehend über ein Subgenre des Horrofilms und verwandter Genres berichtet, mal eher in Form einer Rezension, mal eher wissenschaftlich-theoretisch, mal eher allgemein, mal tiefgehend-ausschweifend.Auffällig ist, dass die Form der Beiträge nicht so vielfältig ist, wie im Vorgänger. Bis auf ein Gespräch zwischen Stiglegger und Kai Naumann über lovecraftschen Horror sind alle weiteren Artikel in berichtendem Artikelformat verfasst, teilweise erneut in Form von (wohl überarbeiteten, aktualisierten) Booklet-Texten für DVD/BluRay-Veröffentlichungen.
Auffällig ist, dass diesmal insgesamt etwas weniger „trocken“ und wissenschaftlich geschrieben wurde. Ob dies dem Thema geschuldet ist oder die Erkenntnis, dass es für den Durchschnittsleser so leichter verdaulich ist, als wenn mit vielen Fremdwörtern um sich geschmissen wird, kann ich nicht beurteilen. Ich halte es jedenfalls für eine gute Entscheidung, die sicher zusätzliche Leser bringt, ohne, dass kompetente Information verloren geht. Hier und da hangelt sich Stiglegger natürlich trotzdem an bestimmten Formulierungen entlang, die er in den jeweiligen Texten wieder und wieder anbringt, so dass es fast scheint, als wolle er diese Definitionen im Kopf des Lesers verankern und so als Status Quo der Interpretation des Themas festschreiben. Sicher nur eine Interpretation von mir selbst und letztlich haben die Aussagen ja Hand und Fuß und sind nachvollziehbar.
Inhaltlich werden die großen Thema des Horrorfilms abgehandelt, die Stephen King bereits 1981 in „Danse Macabre“ auf drei Archetypen zusammenfasste, aus denen der Großteil derHorrorliteratur und -filme abgeleitet werdenkann: das „Ding aus dem Sumpf“, der „Vampir“ und der „Werwolf“. Ich persönlich würde noch den „verrückten Wissenschaftler“ ergänzen. Fast jeder Horror beruht auf diesen Archetypen, beziehungsweise auf Abwandlungen und/oder Kombinationen daraus. Stiglegger berichtet so über Werwölfe, Mumien, italienische Gialli, Dämonen, Satanisten, Serienkiller, Zombies, menschliche Monster, romatischen Horror, kosmischen Horror und gefährliche Tiere. Dabei beschränkt er sich eben meist nicht auf einen Film, sondern geht dabei beispielsweise auf das Gesamtwerk eines Regisseurs oder eines Genres ein. Interessanterweise fehlt mit dem klassischen Vampir die wohl berühmteste Horrorgestalt, auch, wenn der „Mumien-“ Film natürlich auch vampirirsche Anklänge hat.
Die einzelnen Kapitel sind mal sachlich, mal unterhaltsam, mal persönlich, auch mal etwas trocken, aber immer interessant. Wie gehabt ist das Buch so aufgebaut, dass man es nicht in einem Rutsch durchlesen muss, sondern sich immer mal wieder „zwischendurch“ einzelne Texte vornehmen und es somit auch als eine Art Nachschlagewerk nutzen kann. Ein Geleitwort von Regisseur Buddy Giovinazzo - dessen „Combat Shock“ im Buch besprochen wird - rundet den Lesespaß ab und man darf gespannt darauf warten, welche Schwerpunkte der geplante dritte Band „Jenseits der Grenze“ im Jahr 2019 enthalten wird. Für Menschen, die Horrorfilme mögen und nicht einfach nur konsumieren wollen, ist „Grenzüberschreitungen“ mehr als lohnenswerte Lektüre. (A.P.)
Martin Schmitz Verlag - ISBN 978-3-927795-80-8
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