In Zeiten, in denen die Verfilmungen von Jugendbüchern (Neudeutsch „Young Adult Books“) wie „Die Tribute von Panem“, „Harry Potter“ oder „Die Bestimmung“ die Lesefreude junger Menschen wieder nachhaltig auffrischen, ist es klar, dass zahlreiche Autoren daran arbeiten, eine annähernd so erfolgreiche komplexe Fantasiewelt zu schaffen, die die Leser über möglichst mehrere Bände bei der Stange hält und im besten Falle das Interesse eines Filmstudios weckt. Abenteuergeschichten mit jungen Helden und einem Science Fiction- oder Fantasyeinschlag eignen sich heutzutage am besten dazu. Und natürlich beschränkt sich das nicht nur auf den anglo-amerikanischen Raum, sondern auch in Deutschland gibt es Autoren, die ihr Glück versuchen. Mit Kerstin Giers „Edelstein“-Trilogie findet sich ein sehr erfolgreiches Beispiel. Mit Petra Mattfeldts „Multiversum“-Reihe könnte ein weiteres Erfolg versprechendes folgen.
Die Zutaten stimmen: eine junge Zielgruppe (ab 12 Jahren), eine Abenteuergeschichte mit Science Fiction-Einschlag, leicht zu lesender Schreibstil und das Potenzial, das Ganze auch filmisch umzusetzen.
Dabei muss man allerdings sagen, dass der Science Fiction-Aspekt im ersten Band sich fast nur auf die Tatsache beschränkt, dass es eben die Parallelwelten gibt und ein paar Leute dahin versetzt werden. Den Übergang selber beschreibt die Autorin nicht und danach ist es ausschließlich eine Abenteuerstory im Mittelalter. Etwas mehr Fantasy wäre da schon schön gewesen, zumindest erwartet man das bei dem Titel „Multiversum“. Zudem sollte dem Leser vorher klar sein, dass die Geschichte eher für ein jüngeres Teenager-Publikum geschrieben ist. So ist der Stil recht schlicht und gradlinig gehalten und es wird nur hin und wieder ein wenig düster oder gewalttätig. Das ist kein negativer Kritikpunkt, sondern ein Hinweis, damit man nicht eine dystopische Geschichte á la „Panem“ erwartet. Auch wird es nicht allzu komplex.
Natürlich bietet die Ausgangsidee die Möglichkeit, die Figuren in Zukunft auch in andere Welten und Zeiten reisen zu lassen und nicht nur ins England des 13. Jahrhunderts wie in den ersten beiden Bänden. Wie das funktioniert weiß man aus Serien wie „Sliders“ oder „Stargate“, die hier möglicherweise auch einen kleinen Einfluss hatten.
Ein bisschen schade ist es, dass die Story in England angesiedelt ist. Hier hätte es sich doch angeboten, das Ganze in Deutschland spielen zu lassen, zumal ja Deutschland auch eine interessante mittelalterliche Geschichte hat. Da die Autorin Norddeutsche ist, hätte man das wunderschön nutzen können.
Für eine Verfilmung ist die Reihe aber auf jeden Fall geeignet, am ehesten wohl als Fernsehserie (man denke an eine erfolgreiche Serie wie „Fluch des Falken“), idealerweise als Weihnachts-Sechsteiler wie man es als Kind der 80er Jahre noch gut erinnert. Für eine Kinoauswertung bräuchte es wohl eine Menge Änderungen, um das Ganze tempo- und actionreicher zu machen.
Auf jeden Fall ist „Multiversum“ mit den ersten beiden Bänden sehr gelungen und passt gut in die heutige Jugendbuch-Welt. Bei entsprechendem Erfolg stehen der Reihe inhaltlich fast unendliche Möglichkeiten offen. Das ist doch schon mal eine sehr gute Ausgangslage.
Band 1 – DER AUFBRUCH
Buntstein Verlag – Taschenbuch 2015 – ISBN 978-3-95669-028-0
Als Neunjähriger hat Tom Stafford seine Eltern scheinbar bei einem Bootsunfall verloren und lebt seitdem bei seiner Großmutter. Sechs Jahre später taucht ein geheimnisvoller Hinweis auf, dass seine Eltern noch leben und in einem Paralleluniversum im Mittelalter festsitzen. Der Geschichtsprofessor Jonathan Steiner und sein Doktorand Maximilian Winter haben die Theorie, dass es vor der englischen Küste eine Art Anomalie gibt, die den Übergang dothin ermöglicht. Kurz darauf landen Tom und Maximilian tatsächlich in diesem anderen Universum und müssen sich dort behaupten. Professor Steiner und ein Team vom Geheimdienst MI6 um Commander Sonderborg machen sich ebenfalls auf die gefährliche Reise, um die beiden und Toms Eltern zu retten und geraten in große Gefahr, denn das Mittelalter hält jede Menge Überraschungen bereit. Zudem weiß niemand, was passiert, wenn die Menschen aus dem 21. Jahrhundert in der Parallelwelt die Geschichte verändern…
Die erste Geschichte um Tom Staffords Reisen in Parallelwelten braucht eine gewisse Zeit, bis es richtig losgeht, denn die Hauptfiguren müssen natürlich erstmal eingeführt werden. Sind die Hauptfiguren aber erstmal in der mittelalterlichen Welt angekommen, wird das Leben dort schön anschaulich geschildert und das Verhalten der Menschen aus dem 21. jahrhundert ist weitgehend realistisch. So werden die anfänglichen Sprachprobleme thematisiert, ebenso wie die Schwierigkeiten, sich in ein völlig anderes Leben einzufinden. Dies geschieht dann alles aber recht schnell, so dass die Story sich bald vielleicht etwas zu sehr auf den Alltag und die persönliche Situation konzentriert. Etwas mehr Action und Gefahr wäre hier und da sicher sinnvoll gewesen. So plätschert es im Mittelteil etwas gemächlich vor sich hin, bevor zum Ende hin das Tempo angezogen wird. In wirklich große Gefahr geraten die Hauptfiguren aber eigentlich nie. Ein bisschen mehr Spannung hätte dem Roman also gut getan. Ansonsten wird aber flüssig eine interessante Geschichte erzählt mit weitgehend nachvollziehbaren Charakteren und in angenehm zu lesender Schreibweise. Am Ende geht alles ein bisschen schnell und es wird sehr klar, dass die Story auf eine Fortsetzung angelegt ist.
Band 2 – DIE RÜCKKEHR
Buntstein Verlag – Taschenbuch 2016 – ISBN 978-3-95669-047-1
Einige Jahre nach den Ereignissen im Mittelalter und der glücklichen Rückkehr ist Tom Stafford inzwischen ein junger Mann, der eine Ausbildung zum Special Agent beim Geheimdienst MI5 macht. Natürlich hat die Geheimorganisation das Tor zur anderen Dimension weiter erforscht und inzwischen Möglichkeiten gefunden, den Durchgang stabil zu halten, um systematische Forschungen im Mittelalter des Paralleluniversums durchzuführen. Eines Tages wird Tom mit einem Team anderer Agenten wieder dorthin geschickt, weil das Verschwinden eines Agenten und merkwürdige Botschaften ein Eingreifen nötig machen. Tom soll sich in die gerade stattfindenden Verhandlungen über Englands Magna Carta einschleichen, um entscheidende Details zu beeinflussen, die die Macht des Königshauses nachhaltig verbessern würden. Zunächst läuft alles glatt, doch schon bald sieht sich Tom Stafford einem Gegner gegenüber stehen, mit dem er nicht gerechnet hat: sich selbst...
„Der Aufbruch“ bot eine solide, spannende Jugendabenteuer-Story mit Fantasy-Elementen, deren Ende natürlich auf eine Fortsetzung ausgerichtet war. Mit „Die Rückkehr“ liegt diese nun vor und setzt sehr konsequent das fort, was Band 1 begonnen hat. Natürlich tauchen einige wichtige Figuren wieder auf, allen voran Tom Stafford, aber auch Commander Sonderborg und Bruder Bardo, sowie Toms Angebetete Elisabeth. Nicht dabei sind überraschenderweise Professor Steiner und sein Doktorand Maximilian Winter, dafür aber einige neue Charaktere, mit denen sich junge Leser wohl besser identifizieren sollen.
Dadurch, dass die ganze Ausgangssituation nicht erst eingeführt werden muss, weil die Rahmenbedingungen (der Übergang, die mittelalterliche Welt) bekannt sind, ist „Die Rückkehr“ deutlich dünner geworden, was aber gleichzeitig für hohes Tempo sorgt. Leerlauf gibt es kaum und insgesamt passiert mehr in der Geschichte.
Erfreulicherweise ist auch der Science Fiction/Fantasy-Anteil größer durch eine weitere Fraktion, die Interessen im Mittelalter verfolgt und den Auftrag von Tom vereiteln will, beziehungsweise soll. Interessanterweise ist diese neue Fraktion – obwohl sie mit rücksichtslosen Methoden vorgeht – nicht unbedingt als böser Gegenspieler anzusehen, denn ihre Gründe sind durchaus nachvollziehbar. Auf der anderen Seite ist der Auftrag von Tom, die Geschichte zum eigenen Vorteil zu verändern, auch nicht unbedingt ehrenwert. Die Motive und Handlungen auf allen Seiten sind also vielschichtig und nicht eindimensional, was das Ganze interessanter macht.
Und natürlich wird auch die im ersten Band noch recht zarte, unschuldige Liebesgeschichte von Tom und Elisabeth weitererzählt, wobei sie hier schon etwas erwachsener wird – wie eben auch die jungen Leute älter geworden sind. Da wird dann auch leicht das Thema Sex gestreift, natürlich nur so, dass die junge Leserschaft nicht „geschädigt“ wird. Auch etwas mehr Gewalt kommt vor, natürlich aber nicht über die Maßen. Für die ganz jungen Leser wird zudem mit dem kleinen Ralph ein neuer Charakter eingeführt, der für Identifikation sorgt.
Weiterhin könnte man kritisieren, dass Autorin Petra Mattfeldt sich nicht entscheidet, ob das Dimensionstor vor der Küste Englands nun eine Zeitreise verursacht oder den Übergang in ein Paralleluniversum. Dass Veränderungen in der Vergangenheit eines Paralleluniversums Einfluss auf die Gegenwart unserer eigenen Realität haben, erscheint eigentlich nicht besonders nachvollziehbar. Aber gut, es ist eben Fantasy, da sollte man nicht so streng sein. Und es ist in erster Linie Unterhaltung und keine wissenschaftliche Abhandlung.
Wie gehabt, ist der Schreibstil flüssig und leicht zu lesen, im positiven Sinne. Mit nur knapp 200 Seiten Umfang und hohem Tempo passt sich „Die Rückkehr“ vermutlich heutigen Konsumgewohnheiten Jugendlicher an und erhöht damit die Chance, dass das Buch auch gelesen wird. Das Ende – gar nicht mal wirklich ein Happy End – lässt natürlich wieder alle Türen weit offen für eine Fortsetzung, die dann hoffentlich nicht wieder in die gleiche mittelalterliche Welt führt. Das Konzept lässt doch so viele weitere Möglichkeiten offen... (A.P.)
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