(Hoffmann & Campe ISBN 3-455-00585-3)
Die kleine Adina lebt mit ihrer Mutter Carla und ihrem kleinen Bruder Bolko in einem großen Haus in Hamburg. Der Vater ist schon vor einiger Zeit gestorben und das scheint Carla einen Knacks versetzt zu haben. Seitdem sammelt Carla allen möglichen Krimskrams, kann nichts wegwerfen, will alles vorher noch mal angucken oder findet Sachen einfach zu schön, um sie nicht mit nach Hause zu bringen. Den Kindern verwehrt sie jeden Kontakt zu anderen Menschen, den „gefährlichen Klopfern“, während sie selbst nach außen hin den Schein aufrecht erhält und täglich zur Arbeit geht. Als Adina schließlich eingeschult wird und bald darauf Bolko bei einem Unfall im angesammelten Müll stirbt, verändert sich das Leben des Mädchens und von Carla. Adina muss nun unter die „Klopfer“, darf aber auf keinen Fall was von zu Hause erzählen. Damit wird sie zur Außenseiterin und Einzelgängerin in der Schule, auch, weil ihr Dinge wie Körperpflege und Kleidungswechsel nicht als notwendig bewusst sind, da sie das nie von ihrer Mutter gelernt hat.
Als Adina dann die „Kranichfrau“ Erla kennen lernt, die regelmäßig im Wald Kraniche beobachtet und pflegt, bewegt sich das Leben des Mädchens Schritt für Schritt in eine neue Richtung und sie beginnt zu begreifen, dass an dem Leben mit Carla im „Adelunghaus“ etwas nicht stimmt. Sie versucht, etwas zu ändern, wird aber durch die Liebe zu ihrer immer mehr in den Abgrund trudelnden Mutter gebremst. Bis alles auf eine nicht mehr beherrschbare Katastrophe zusteuert...
„Kraniche Und Klopfer“ ist der zweite Roman von Axel Brauns, der mit seinem autobiographischen Buch „Buntschatten Und Fledermäuse“ bereits über seine autistische Kindheit berichtete und damit einen großen Erfolg erzielte, sowohl bei Kritikern, als auch was die Verkaufszahlen angeht. Da man offenbar einem Autisten immer nur ein Buch zutraut, nämlich eines über ihn selbst, konnte „Kraniche Und Klopfer“ nicht an den Erfolg des Erstlings anschließen, was sehr schade ist, denn schlechter ist die Geschichte auf keinen Fall. Der Schreibstil erinnert schon an den Erstling und auch das Thema Isolation gemahnt, wenn auch in anderer Form, an „Buntschatten Und Fledermäuse“. Das oberflächlich hervorstechende Thema „Messie“ ist nicht, was das Buch ausmacht, sondern das langsame Erwachen des kleinen Mädchens aus dieser Welt. Ohne zu viel zu verraten kann ich sagen, dass es am Ende förmlich eine Explosion gibt, die das Mädchen befreit. Bis dahin muss sie aber einen langen Weg gehen, der im Buch die ersten drei Schuljahre umfasst und erschreckend schleichend die Verwahrlosung von Adina zum Thema hat und die Unfähigkeit daraus auszubrechen, obwohl der Willen da ist. Erst durch den Kontakt zur „Kranichfrau“ erkennt die Kleine, wie die wirkliche Welt aussieht. Erschreckendweise ist gerade in Hamburg das Thema Kinderverwahrlosung in der vergangenen Zeit durch alle Medien gegangen, so hat das Buch eine bedrückende Aktualität.
Obwohl es eine ganze Mengen Stellen zum Schmunzeln gibt und Adinas Sicht der Dinge manchmal ziemlich skurril ist, weil sie es einfach nicht besser weiß, ist „Kraniche Und Klopfer“ insgesamt ein trauriges Buch und mehr als einmal musste ich kräftig schlucken, um die Tränen zurückzuhalten. Wenn ein Buch in der Lage ist, so massive Gefühle auszulösen, kann es nicht schlecht sein!
Axel Brauns Schreibstil ist dabei einfach zu lesen und sein Talent, immer wieder ungewöhnliche Wortkombinationen zu kreieren oder gar ganz neue Wörter zu erfinden, hat er schon in seinem ersten Buch bewiesen. So liest man, völlig gefesselt, das Buch in einem Rutsch durch und wundert sich, wie schnell die rund 300 Seiten vorbei sind. Wer hätte gedacht, dass die Erlebnisse einer Grundschülerin so mitreißend sein können.
Perfekt führt Brauns den Leser in die absurde Welt von Adina ein. Erst nach und nach merkt man, wie die Situation im Haus ist und immer schlimmer wird und um was es sich bei „Das will ich mir noch ankucken“, „Das kann man doch nicht wegwerfen“, „O ist das wichtig“ oder „Wie schön das ist“ tatsächlich handelt. Geradezu bildlich sieht man das düstere Haus vor sich und wird durch Momente scheinbaren Glücks immer wieder in Sicherheit gewiegt, so dass man inständig hofft, dass es von nun an aufwärts geht. Die Rückschläge sind dann immer deprimierender.
Man muss aber auch sagen, dass Autor Axel Brauns eigentlich unfair ist, denn genau wie bei „Buntschatten Und Fledermäuse“ endet das Buch zwar stimmig, aber man möchte zu gerne wissen, wie es danach mit der Hauptfigur weitergeht. Eine Fortsetzung erscheint fast notwendig, wird aber wohl nicht kommen. Was wurde später aus Adina?
Vielleicht muss ein Buch aber so enden, dass man sich als Leser nicht mit dem sehr bequemen Gefühl zurücklehnen kann, nun alles zu wissen. Das wäre wohl doch etwas zu einfach.
„Kraniche Und Klopfer“ ist ein wunderbares, trauriges, spannendes und bewegendes Buch, das viel mehr Leute lesen sollten, denn es spricht auch Themen an, die mehr als aktuell sind.
Und wenn ich mir meine persönliche Widmung des Autors „Viel Spaß in der Müllwelt“ ansehe, frage ich mich, ob das nicht etwas zynisch ist, denn „Spaß“ im eigentlichen Sinne macht das Buch nun wirklich nicht. Großartig ist es trotzdem! (A.P.)
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