DAS SANFTE GESETZ DES HORRORFILMS
Roger Corman verfilmt Adalbert Stifter
Von Markus Grundtner
Literatur zu verfilmen, bedeutet Bilder für Worte zu finden, Musik den Stimmungen anzupassen und Schauspieler für Figuren auszusuchen. Ohne subjektive Ansätze könnte das nie vonstatten gehen. Künstlerische Freiheit transformiert klassische Vorlagen, lässt sie besser, schlechter oder anders werden. Viele Regisseure/Drehbuchautoren haben sich schon darin versucht. Sogar Roger Corman, der Shakespeares „Richard III“ 1962 unter dem Titel „Der Massenmörder von London“ adaptierte und damit auf die Schauermär einer machthungrigen Missgeburt, welche von den rastlosen Seelen derer heimgesucht wird, die sie ermordet hat, reduzierte.
In „Musen der Platzangst“ wagt der genreerfahrene Corman, Adalbert Stifters romantische Erzählung „Der Hochwald“ in eine seiner Opern des (Minimalbudget-)Grauens zu verwandeln. Die historische Einbettung in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges und der Handlungsort, ein Holzhaus inmitten eines vom Menschen unberührten Waldes, der von einem geisterhaften Wilderer durchstreift wird, scheinen prädestiniert dafür. Aber auch das Filmset entwickelt sich zum Schauplatz von seltsamen Ereignissen und schemenhaften Erscheinungen, die dem Ausflug von Regisseur Robert Wise (Kanonenboot am Yangtse-Kiang, West Side Story) in ein prototypisches Gruselanwesen, dem Schwarzweißstreifen „Bis das Blut gefriert“ (1963), entlehnt sind.
Der Skriptautor wird zum Erzähler, wodurch sich Drehbuchpassagen mit der Dämonenjagd am Set und Einblicke in die Psyche der weiblichen Darstellerinnen mit kreativen Arbeitsgesprächen abwechseln. Das Zusammenstoßen fiktiver Welten, das Ringen der Gegensätze, führt unausweichlich zum Ineinandergreifen der Dimensionen, nach Heraklits vorsokratischer Denkweise beginnen die Konturen zu verfließen: Sätze, die zuvor an anderer Stelle gefallen sind, erscheinen im Drehbuch; Personenkonstellationen tauchen auf, die vom Set bzw. der Vorlage bekannt sind. Nicht gerade neue, dennoch grundlegende philosophische Sentenzen über Wirklichkeit, Kunst und künstliche Wirklichkeit werden zum ständigen Déjà-vu.
Sowohl Kenntnisse der Stilmittel des Splatterfilms als auch solche von Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft setzt Autor Markus R. Weber voraus, um das Kunstverständnis seiner Leser zu erweitern. Zu diesem Zweck zitiert er Sam Raimis „Tanz der Teufel“, Jean Rollins „The Living Dead Girl“ und die chauvinistische „Mondo-Cannibale“-Reihe zu einer Gegenüberstellung mit der modellhaften Landschafts- und Naturepik des Volkserziehers Stifter herbei. „Mehr Gewalt. Mehr Sex.“ sind dabei die erwartungsgemäßen Prämissen, durch welche parallele Stilstrukturen belegt werden - alles am Beispiel wiederentdeckter subtiler Tiefen des Splatterkinos und totgeschwiegener Abgründe von Adalbert Stifters sanfter Prosa.
Trotz der Tatsache, dass Markus R. Weber Gedanken aus zweiter Hand überkreuzt, zugleich die schlichte Ziehung der Epochengrenzen durchbricht, hat er mehr als eine originell-seltsame Nacherzählung geschrieben, die allein vom kunstwissenschaftlichen Gesichtspunkt interessant ist und entsprechende Kenntnisse bedingt. Er prägt den Begriff eines „literarischen Remakes“, er gibt mehr als nur Inhalte wieder, denn der Inhalt „ist nicht der Film, das ist nur das, was man sieht. Alles andere erlebt man mit. Wenn man will.“
Markus R. Weber - Musen der Platzangst, 19 Euro, 124 Seiten, Droschl Verlag, Graz 2002.
2. Literaturverlag Droschl A-8010 Graz Alberstraße 18 Tel:
+43/(0)316/32-64-04 Fax: +43/(0)316/32-40-71
(Markus Grundtner)
|