(Goldmann Taschenbuch ISBN 3-442-45330-5)
Herbst 1989 in Berlin. Frank Lehmann lebt seit Anfang der 80er Jahre in Kreuzberg und wird in Kürze 30, was seine Freunde dazu bewogen hat, ihn nur noch „Herr Lehmann“ zu nennen.
Herr Lehmann ist mit sich und seiner kleinen Welt zufrieden, arbeitet hinterm Tresen in einer Kneipe und hat kein Bedürfnis, auszubrechen. Doch in kurzer Folge passieren Dinge, die ihn aus seinem Lebensrhythmus werfen, er verliebt sich in die schöne Köchin Katrin, seine Eltern aus Bremen kündigen ihren Besuch an, er muß plötzlich in Stadtteile „verreisen“, die ihm nicht geheuer sind, sogar nach Ostberlin, wo gerade viel in Bewegung ist. In all dieser Unruhe, die plötzlich Herrn Lehmanns Leben beherrscht, übersieht er, dass bei seinem besten Freund Karl ernste Veränderungen vor sich gehen…
„Herr Lehmann“ war der erste Roman von Sven Regener, dem Sänger und Texter der Band Element Of Crime. Mit dieser Geschichte trifft er die Stimmung einer ganzen Generation und die Atmosphäre der Zeit, in der die Handlung angesiedelt ist, auf den Punkt. Wer die 80er Jahre als junger Mensch zwischen 15 und 30 mit erlebt hat, wird sehr schnell feststellen, dass er viele Situationen und Episoden kennt, sofern er nicht völlig spießbürgerlich aufgewachsen ist.
Herr Lehmann ist in seinem Mikrokosmos, der ziemlich auf den Stadtteil Kreuzberg beschränkt ist, zufrieden mit sich und der Welt und er versteht gar nicht, warum ihm Leute sagen, er solle mehr aus seinem Leben machen, als nur in einer Kneipe hinterm Tresen zu stehen. Der Besuch der Eltern und die damit verbundene Fahrt zum Kurfürstendamm erweisen sich schon als Abenteuer.
All die Dinge, die sich so ereignen beschreibt Regener sehr unterhaltsam und bei manch völlig absurder Unterhaltung zwischen Herrn Lehmann und anderen Leuten muß man beim Lesen laut loslachen. Dabei hat der Autor einen ganz eigenen Stil entwickelt, der teilweise aus langen, aber gut lesbaren Sätzen und vielen konsequent wiederholten Formulierungen („die schöne Köchin“, „sein bester Freund“, Herr Lehmann „dachte“…) besteht. Am Anfang wirkt das etwas ungewohnt, aber nach wenigen Seiten hat man sich eingelesen und kann sich ganz auf den extrem hohen Unterhaltungswert konzentrieren. Interessanterweise beschreibt Regener die handelnden Figuren kaum, selbst das Aussehen von Herrrn Lehmann muß man in seiner eigenen Fantasie entwickeln und von Katrin, „der schönen Köchin“, erfährt man nur, dass sie wohl nicht gerade Modelmaße hat. Der einzige, den man sich auf Grund des Buches ein wenig vorstellen kann, ist Karl, Herrn Lehmann´s „bester Freund“.
Obwohl eigentlich keine ungewöhnlichen oder gar aufregenden Dinge geschehen, kann man kaum aufhören zu lesen und so habe ich die rund 280 Seiten der Taschenbuchausgabe innerhalb eines Tages komplett verschlungen. Die Situationen und die Gespräche sind aber auch teilweise wirklich abgedreht, oder, wie oben bereits erwähnt, absurd. Zum Ende hin wird Herrn Lehmann´s Geschichte dann doch noch etwas tragisch, als er erkennt, dass „sein bester Freund“ Karl in eine Lebenskrise gerutscht ist, ohne, dass er es gemerkt hat.
Man ist beinahe traurig, dass man nicht mehr erfährt, wie es mit Karl weiter geht, wie Herr Lehmann die Wendezeit weiter erlebt und eigentlich würde man auch gerne mal Herrn Lehmann´s Bruder kennenlernen, der als Künstler und Installateur in Amerika lebt. Da muß man allerdings auf eine hoffentlich irgendwann erscheinende Fortsetzung hoffen. Zunächst hat der Autor aber das Buch „Neue Vahr Süd“ veröffentlicht, das uns einen rund zehn Jahre jüngeren Frank Lehmann vorstellt.
Keine Frage, „Herr Lehmann“ ist zu Recht erfolgreich geworden, auch, wenn es ein „Generationsroman“ ist, den Leute, die deutlich älter oder deutlich jünger als Herr Lehmann waren/sind eher nicht mögen werden, weil sie eine völlig andere Sozialisation erfahren haben.
Sven Regener beweist jedenfalls großes Talent und zeigt dem Leser Einflüsse vom Existenzialismus und Punk bis hin zum hintergründigen Wortwitz eines Max Goldt. Na, wenn das nichts ist…
Aufgrund des großen Erfolges des Buches, entstand auch eine erfolgreiche Verfilmung.
Unabhängig davon, gehört „Herr Lehmann“ definitiv in die Top 10 meiner Lieblingsbücher. (A.P.)
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